"Elektra": Der Fahrstuhl des Grauens

Die Oper "Elektra", die erste gemeinsame Schöpfung von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, gehört zu den intensivsten, packendsten, faszinierendsten Werken des gesamten Genres. Wenn sich jedoch, wie bei der Neuproduktion in der Wiener Staatsoper, selbst bei diesem dramatischen Stück Musiktheater Momente der Monotonie einstellen, läuft etwas falsch.
Man kann es niemandem verübeln, der sogar an ein anderes Werk von Strauss/ Hofmannsthal, die "Ariadne auf Naxos", denkt, in der es heißt: "Die Oper enthält Längen, gefährliche Längen."
Und das bei "Elektra"?
Schuld daran ist die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg im Bühnenbild von Rolf Glittenberg und mit den Kostümen von Marianne Glittenberg. Man sieht knapp zwei Stunden Stehtheater mit historischen Operngesten. Die Personenführung ist oberflächlich und klischeehaft, die Interaktion belanglos. Wer die Geschichte der Elektra und ihres Bruders Orest, die den von ihrer Mutter Klytämnestra und Aegisth begangenen Mord an ihrem Vater Agamemnon rächen, nicht gut kennt, wird hier wenig verstehen.
Im Keller
Die Bühne stellt einen Keller dar – mit Nassbereich auf der linken Seite und einem Paternoster im Zentrum. In diesem Ambiente könnten viele andere Opern auch spielen, etwa "Rheingold" mit Nibelheim. Der Keller als Symbol verborgener Grauslichkeiten – daraus könnte sich etwas entwickeln. Aber da müsste der Regisseur Ulrich Seidl heißen und nicht Laufenberg. Bei diesem sieht man zu Beginn nackte, blutbeschmierte Frauen, die von KZ-Wärterinnen geduscht werden. Der Rest trägt ebenso Kostüme, die an die NS-Zeit gemahnen. Wieder einmal. Wenn schon Verlegung in eine andere als die von Hofmannsthal erdachte Epoche, böte sich freilich die Zeit der Uraufführung (1909), einige Jahre nach Freuds "Traumdeutung", an. Davon sieht man aber nichts.
Gefährlich wird es, wenn sich der Aufzug in Bewegung setzt: Er bringt zunächst Klytämnestra hinab ins Schattenreich, gemordet wird später im Erdgeschoss. Die Opfer fahren im Fahrstuhl des Grauens auf und ab. Schön ist die Idee, Klytämnestra wie Joan Crawford in "Baby Jane" in den Rollstuhl zu setzen – allerdings macht der Regisseur auch daraus allzu wenig. Das Ende ist vulgär: Elektras Tanz gerät zur Parodie mit hippen Discotänzern, die einander gleich wieder prügeln. Vom Moment der Katharsis spürt man nichts. Dieses Finale ist gegen jede Intention von Strauss und eine Anti-"Elektra".
Die musikalische Gestaltung ist um vieles besser, wenn auch recht plakativ. Das Staatsopernorchester spielt unter dem Dirigat von Mikko Franck oft zu laut, der Donner überlagert die kammermusikalischen Passagen. Christian Thielemann hatte zuletzt in Dresden den Bogen zur nächsten Strauss-Oper, "Rosenkavalier", gespannt – davon hört man hier nichts. Die Dissonanzen und polyphonen Passagen sind jedoch intensiv und die Wiener bei allen Einwänden ein idealer Klangkörper für dieses Fach.
Auf der Höhe
Aus der Sängerbesetzung ragt Nina Stemme als markante, wortdeutliche Elektra heraus: Sie singt betörend in den lyrischen Momenten, hat genügend Kraft für die dramatischen und glänzt mit fabelhafter Höhe. Ein beeindruckendes Rollendebüt.
Anna Larsson ist als Klytämnestra weit weniger präsent und präzise, verfügt aber über eine gute Tiefe. Ricarda Merbeth als eingesprungene Chrysothemis kämpft tapfer gegen die Klangfluten an. Norbert Ernst gibt sehr gut einen angstvollen, zynischen Aegisth, Falk Struckmann orgelt den Orest wie jede andere Rolle auch. Die kleineren Partien sind adäquat besetzt.
Im kommenden Jahr wird Laufenberg übrigens in Bayreuth "Parsifal" anstelle von Jonathan Meese inszenieren. Auch eine mutlose Wahl.
KURIER-Wertung:
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