Ein virtuoses Spiel mit allen Mitteln des Theaters

Eine Tourneetruppe poltert mit Musik und Gesang auf die Bühne; Shakespeares „King Lear“ wollen sie spielen – ungewöhnlicher Auftakt für eine der dunkelsten Tragödien? Nicht, wenn das Globe Theatre das Publikum der Art Carnuntum (Intendanz Piero Bordin) im Amphitheater von Petronell mit einer seiner großartigen Produktionen glücklich macht.
Mit Augenzwinkern
Das Theater darf seine eigenen Mittel zur Schau stellen und mit ihnen spielen: Wenn der Sturm über die Heide tobt, reicht ein roter Vorhang, den Schauspieler sich blähen lassen, während andere mit Donnerblechen scheppern und eine antiquiert anmutende Windmaschine bedienen. All das wird dem Publikum mit Augenzwinkern gezeigt: Seht her, wir machen Theater – und so einfach geht das! Ja, wenn man die Mittel so virtuos zu handhaben weiß.
Star der Produktion ist Joseph Marcell (Sitcom-Junkies als pointensicherer Butler Geoffrey in „Der Prinz von Bel-Air“ vertraut, aber auch renommierter Othello der Royal Shakespeare Company), der über die gesamte Ausdruckspalette verfügt, die diese einzigartige Rolle erfordert. Vom anfänglich überheblichen Absolutheitsanspruch bis zur tiefsten Demütigung durchspielt er einen ganzen Kosmos.
Zwingend logisch
Zwingend logisch entwickelt Regisseur Bill Buckhurst alle Charaktere. So antworten Goneril (Ruth Everett) und Regan (Shanaya Rafaat) auf Lears entscheidende Frage nach der Liebe seiner Töchter ohne böse Absicht mit eingelernter Rhetorik, an die sie selbst noch glauben – gut dressierte Püppchen, die ihr Vatertagssprüchlein aufsagen. Nach und nach werden sie vom Geschmack der Macht korrumpiert.
Ihnen stellt Bethan Cullinane Cordelias unaffektierte Verweigerung des gewünschten Tochterklischees gegenüber (auch als Narr berührt sie). Die Vaterfigur des Herzogs von Gloucester wird von Rawiri Paratene einfühlsam entwickelt. Seinen Sohn Edgar zeichnet Matthew Romain als intellektuellen Tollpatsch, der seine Fähigkeit zum Überleben erst entdecken muss. Zum Finale stehen die Toten wieder auf, und das Ensemble tanzt ausgelassen – wir haben ja bloß gespielt!
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