Ein Unfall ändert alles: TV-Vierteiler mit Jan Josef Liefers
„Mann über Bord!“ – mit diesen Worten bricht für eine Familie eine ganze Welt zusammen. Die Küsters haben sich im nördlichsten Norden von Deutschland ein kleines Paradies geschaffen. Gemeinsam mit der Familie Jensen bewohnen sie ein kleines Eiland in der Flensburger Förde, einen Steinwurf von Dänemark entfernt.
Der alternative Traum von Selbstbestimmung und Harmonie in einem Familienverbund schien verwirklicht, bis bei einem Segeltörn mit den Jensens einer der beiden Söhne der Küsters, Kjell, in die unruhige See fällt und nicht mehr auftaucht. Ungewissheit, Beklemmung, (Selbst-)Vorwürfe und die auf einmal immer länger werdenden Schatten der Vergangenheit – das erzählt Regisseur Friedemann Fromm („Weissensee“) in „Tod von Freunden“ aus acht verschiedenen Perspektiven. Jedes Familienmitglied der Küsters/Jensens bekommt in dieser Miniserie mit Thriller-Elementen seine eigene Folge.
„Ist Wahrheit absolut? Wahrheit ist doch immer eine Frage des subjektiven Standpunkts und von Wahrnehmung“, erklärt Fromm im Gespräch mit dem KURIER seine Erzählweise. „Ich wollte aber nicht, dass immer nur dasselbe aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird, sondern dass sich jede Folge immer tiefer eingräbt in das, was da wirklich passiert ist.“
Inspiriert wurde Fromm durch eine „sehr persönliche Erfahrung“. Er erzählt: „Ich bin selber Segler und viel mit meinen Kindern auf dem Wasser, auch in der Flensburger Förde. Dabei nehmen wir oft Kinder von Freunden mit. Irgendwann kam der Gedanke auf: Wir gehen immer davon aus, dass alles gut geht. Aber was wäre, wenn das mal nicht so ist? Was wissen wir eigentlich wirklich von einander? Und so bin ich immer tiefer eingetaucht, in eine Geschichte um eine intensive Freundschaft zwischen zwei Familien, die mit schwerem Verlust und Schuld klarkommen müssen.“
Nichts geht verloren
Der erste Teil am Sonntag (22.15 Uhr) widmet sich zunächst der Perspektive von Sabine Küster (Katharina Schüttler), die verzweifelt an der Hoffnung festhält, dass ihr Sohn noch am Leben ist. Jakob Jensen (Thure Lindhardt), der bei dem Törn Skipper auf der „Orplid“ war, ist den heftiger werdenden Vorwürfen von Bernd Küster („Tatort“-Star Jan Josef Liefers) ausgesetzt. „Nichts geht verloren“ – das ist der Wahlspruch von Kjells Bruder Karl, einem Autisten. „Damit sortiert er sich die Welt und so kriegt er seine Ängste in den Griff“, sagt Fromm, der im Vorfeld Interviews mit autistischen Jugendlichen geführt hat. „Karl hält an diesem Satz fest und läuft zu unglaublicher Größe auf. Weil er unbedingt glaubt und sich durch alle Untiefen durchkämpft.“
Dass die anderen drei Jugendlichen – Cecile, Emile und Kjell – kurz vor dem Unglück mit dem in Ungnade gefallenen Bruder Jakobs, Jonas Jensen (Jakob Cedergren), zusammengetroffen sind, wirft weitere Fragen auf.
Kooperation andersherum
Nicht nur, dass diese deutsch-dänische Koproduktion laut Fromm „einmal andersherum“ lief – die Deutschen liefern die Geschichte, die Dänen das Geld – , die Serie entzieht sich auch gängigen Erzählweisen, wirkt mitunter unbequem und nimmt sich viel Zeit, ihre Figuren auszuleuchten.
Zeit, die man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch bekommt?
„Wir stehen hier genauso unter Quotendruck,“ sagt Fromm. „Das ZDF war nur der erste Sender, der gesagt hat: Wir wollen das unbedingt machen. Das hätte mit Sicherheit auch bei Amazon oder bei Netflix stattfinden können. Es haben sich ja alle bewegt, die TV-Sender haben sich über ihre Mediatheken anderen Formaten geöffnet.“
Er habe volle künstlerische Freiheit bekommen. Nur in einem Punkt galt es, Kompromisse zu schließen. Auf Wunsch der Dänen kommen viele dänische Dialoge vor. „Das fand ich auch passend für diese Geschichte“, sagt Fromm. Für die TV-Ausstrahlung musste allerdings eine stärker synchronisierte Fassung hergestellt werden, „weil im deutschen Sprachraum Untertitel eher als störend empfunden werden“, erklärt er. Das sei zuletzt bei einem „Tatort“ mit hohem italienischen Sprachanteil beobachtet worden, sagt Fromm.
In der ZDF Mediathek kann man ab Sonntag beide Versionen begutachten – und somit das ursprüngliche Konzept: Die Doppel-Pilotfolge und sechs weitere Folgen sind auf einmal streambar.
Hybridform
Fürs klassische Fernsehen wurden hingegen vier Langfassungen erstellt. Es sei schwer geworden, die Zuschauer darauf zu verabreden, acht Abende für eine Serie freizuhalten, erklärt Fromm. Die nunmehrige Hybridform empfindet er als „absoluten Vorteil. Ohne Mediathek wäre es fürs ZDF viel schwieriger gewesen, sich auf so ein Projekt einzulassen.“
"Deutsche weniger experimentierfreudig"
Durch den Einfluss der Streamingriesen habe sich noch „nicht wahnsinnig viel verändert“, findet der „Tatort“-Regisseur. „Das hängt mit der deutschen Mentalität zusammen. Wir sind weniger experimentierfreudig als der angelsächsische Raum.“
Scharf kritisiert Fromm Reality-TV-Formate wie das Dschungelcamp: „Wenn wir Zynismus hochhalten, dann sind wir durchaus in der Lage, auf Dauer eine Verschiebung von Werten anzustoßen. Kann man nicht andere Inhalte präsentieren, die das Publikum genauso fesseln?“
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