Ein Kabinett der abgründigen Schaulust: Künstlerin Lucy McKenzie in Wien

Eine Drehorgel von Karl Soukup Wien und drei Büsten in einer Ausstellung.
Die Schottin schließt im Kunstraum Franz-Josefs-Kai 3 Prater-Schaubuden und Adolf Loos mit der eigenen Porno-Vergangenheit kurz.

Im Prater reiben sich das Hochkulturelle und das Vulgäre in schuld- und lustvollen Akten aneinander. Wer in die Geschichte schaut, sieht Schaubuden und Spiegelkabinette, ein falsches Venedig und Wachspuppen, von denen einige nach dem Brand von „Präuschers Panoptikum“ 1945 in einem ominösen „Sexmuseum“ landeten. Die Prostitution war über lange Zeit im Prater zuhause – und auch der als Prophet der Rationalität gepriesene Architekt Adolf Loos, über dessen pädophile Neigungen lange niemand sprach, trieb sich dort herum.

Im Souterrain des Kunstraums Franz Josefs-Kai 3 gegenüber der Urania – wer will, kann vom Eingang aus das Riesenrad sehen – wurde ebenjener Loos nach Vorlage eines bekannten Fotos groß an die Wand gezeichnet. Und zwar auf Anweisung der Domina „Mistress Rebecca“, deren unterwürfige Klienten künstlerische Arbeit verrichten müssen, anstatt ausgepeitscht zu werden. 

In einem Ausstellungsraum sind ein Porträt, eine Vitrine und eine Kabine zu sehen.

Rebecca, im bürgerlich Reba Maybury, ist wiederum eine Kollaborateurin der schottischen Künstlerin Lucy McKenzie. Und deren Solo-Schau „Orchestrion“, die bis 21.  9. im Kunstraum zu sehen ist (Mi-So 12-18 Uhr, Fr 12-20 Uhr, Eintritt frei), bietet eine der schrägsten Tangenten, die seit langer Zeit an das ästhetische Universum Wiens gelegt wurden. 

Echt, Falsch, Verdrängt

McKenzie interessiert sich für die Spannung zwischen Echtem und Falschem, zwischen Sichtbarem und Verdrängtem – und für Sex als Triebkraft hinter Kreativität, Konsum und der Kulturgeschichte. Ihre Wiener Werkschau führt vor, wie sie sich die Techniken der Kulissen- und Plakatmalerei sowie der Auslagengestaltung zu eigen macht, um ein ebenso hintergründiges wie komisches Netz von Anspielungen zu flechten. 

So baute sie das Interieur von Loos „Villa Müller“ in Prag mit nachgemalten Marmoroberflächen nach und überlagerte eine TV-Serie, in dieser Architektur gedreht wurde, mit eigenen Untertiteln. In einem Schaukasten daneben sind pornographische Magazine zu sehen, deren Bilderzählungen mit der sexuellen Verfügbarkeit junger Frauen („Barely Legal“) liebäugeln. Das Modell auf den expliziten Fotos, erfährt man, ist McKenzie selbst. 

Eine Vitrine zeigt Zeitschriften mit Aktfotografien und eine Bleistiftzeichnung an der Wand.

Die Bilder entstanden, weil sie mit dem Fotografen Richard Kern arbeiten wollte, erklärte McKenzie bei der Eröffnung – war Kern doch neben seiner Porno-Karriere auch ein gefragter Underground- und Rock-Fotograf in der New Yorker Bohème.  

Die Selbstauslieferung an den viel gescholtenen „männlichen Blick“, die dann doch künstlerischer Selbstermächtigung dienen soll, ist so widersprüchlich und kokett wie vieles andere bei McKenzie, deren Referenzuniversum nicht bei Adolf Loos endet: Im Obergeschoß etwa hängt ein „Entwurf für ein Wandgemälde für Jeffrey Epsteins New Yorker Stadthaus“, im Stil des Mexikaners Diego Rivera gemalt. Es imaginiert, wie der Darsteller der Verfilmung „American Psycho“ vom Kamerateam während der Dreharbeiten beim Duschen begafft wird. 

Die drei etwas gruselig anmutenden Mannequin-Köpfe, die neben einer aus dem Wien-Museum geliehenen Prater-Drehorgel postiert sind, entpuppen sich als McKenzies Variationen von Werken des Renaissancebildhauers Donatello. Das Hochkulturelle ist also das Vulgäre und umgekehrt: Wer erfolgreich durch dieses Kabinett navigiert, hat sich sein Bier im Schweizerhaus verdient. 

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