„Ein Hausmeister denkt nicht an Jedi-Ritter“

„Wir betreten völliges Neuland in ,Star Wars‘ . Es ist, als ob du eine Ausfahrt von der Autobahn genommen hast, und wir bringen dich hinaus aufs Land. Es ist ein völlig anderes Vokabular, eine völlig andere Denkweise.“ – Was Tony Gilroy hier über seine Serie „Andor“ (Disney+) sagt, mag wie eine der üblichen marktschreierischen Ansagen bei internationalen Pressebanketten klingen. Es ist aber tatsächlich so, dass „Andor“ der weltweit erfolgreichsten Großerzählung eine unerwartete Perspektive hinzufügt. Jene der einfachen Leute im Galaktischen Imperium.
Gilroy führte davor Regie beim oscarprämierten Film „Michael Clayton“ (George Clooney, Tilda Swinton), oder bei „Bourne Legacy“. Für alle Teile der „Bourne“-Agentenreihe schrieb der US-Amerikaner die Drehbücher – und für „Star Wars“-Kenner am wichtigsten: auch für „Rogue One“, den gar nicht so heimlichen Favoriten vieler Fans. Disney, das 2012 für vier Milliarden Dollar die Produktionsfirma Lucasfilm und damit die „Stars Wars“-Rechte erwarb, wünschte sich ein Spin-off zum Film, das sich um eine der Hauptfiguren, den Rebellenspion Cassian Andor, dreht.

Odyssee
Gilroy, nun Showrunner, sagt zum KURIER und vor weiteren Journalisten: „Wir zeigen Cassians Odyssee vom völlig verlorenen, chaotischen, unpolitischen, zynischen und egoistischen Typen hin zu dem Mann, der mit der Revolution infiziert und von ihr ausgebildet wird.“ Nach den ersten zwölf Episoden sei das Ziel, „ihn ein gutes Stück von dieser ungeformten Person hin zum versierten Anführer bewegt zu haben, der er in ,Rogue One‘ ist“. Diego Luna spielt diesen Bewohner des Planeten Ferrix, der sich mit Schiebergeschäften auf dem Schrottplatz durchs Leben schlägt – und der nach einem tödlich geendeten Streit im Nachtklubmilieu ins Visier des Sicherheitsapparates gerät.
Dabei bekommt man – zumindest in den ersten vier Episoden – keine Jedi-Weisheiten über „die Macht“ serviert, man sieht auch keine Lichtschwerter. Gilroy erinnert daran, „wie groß diese Galaxie ist. Die Jedi waren zu diesem Zeitpunkt so gut wie ausgelöscht, sie waren nicht mehr als ein Gerücht. Ein Bäcker, ein Hausmeister oder eine Mechanikerin denkt nicht an Jedi-Ritter oder an Lichtschwerter. Sie wissen nicht einmal, was das ist.“ Von diesen „gewöhnlichen Menschen, die in historischen Ereignissen gefangen sind, über die sie keine Kontrolle haben“, solle „Andor“ erzählen.
Hohe Politik
In Folge 4 wird eine weitere Ebene eingezogen, jene der hohen Politik. Senatorin Mon Mothma, die später unter dem Schreckensregime Palpatines als Rebellenführerin in den Untergrund geht, ist hier noch in prunkvollen Räumen zu sehen, aber auch in Alltagssituationen.

Genevieve O’Reilly, die diese Figur bereits in „Episode III“ und in „Rogue One“ verkörperte, sagt über ihre Rolle: „Wir sehen Mon Mothma so, wie wir sie noch nie gesehen haben. Üblicherweise sehen wir sie von Rebellen umgeben, in einer Führungsrolle. Das ist das erste Mal, dass wir nicht nur die Senatorin sehen, wir sehen die Frau dahinter. Wir lüften den Schleier, sehen ihr privates Leben, ihren Kampf. Sie setzt sich innerhalb eines autokratischen Imperiums für Demokratie ein. Wir können hier Schichten wegnehmen und beobachten, wie schwer das für sie ist.“
Die Serie zeige die Entstehung der Rebellion, erklärt die irisch-australische Schauspielerin. Dabei störe überhaupt nicht, dass man den Ausgang der Story kenne, „weil die Leute dieses Geschichtenerzählen lieben“, meint O’Reilly. Und man erfahre: „Was war das erste Grollen? Der Funke, der einen Vulkan erzeugt hat? Wie haben sich diese tektonischen Platten verschoben?“
In einer Szene beklagt sich Mon Mothma bei ihrem Gatten, dass dieser ohne ihr Wissen zu Hause ein Dinner mit honorigen Gästen angesetzt hat. O’Reilly: „Ihr Mann scheint ins Imperium investiert zu sein. Sie hat also nicht nur mit Palpatine zu kämpfen, sie kämpft auch mit den Ideen ihres Mannes. In einer Dinnersituation kann man das klar enthüllen. Es ist clever von Tony, das so früh zu zeigen, weil du viel über die Figur lernst.“
Dieser Detailreichtum erfordert viel Zeit. Die erste Staffel umfasst rund ein Jahr, die zweite soll dann die weiteren vier Jahre bis zum Beginn von „Rogue One“ erzählen.
Tony Gilroy dazu: „In meiner Arbeit ging es immer um 130 Seiten. Und es muss sich immer bewegen. Plötzlich habe ich die Gelegenheit, zwei Mal 700 Seiten zu schreiben. Das ist so, als ob man ,Krieg und Frieden‘ schreiben könnte. Es ist also sehr aufregend!“
„Star Wars“ sei „ein Film für Zwölfjährige“, sagte George Lucas und erklärte so das Erfolgsrezept seiner Sternen-Saga, die 1977 mit „Krieg der Sterne“ ihren Ausgang nahm. Im Originaltitel „Star Wars: Episode IV – A New Hope“ war bereits angelegt, dass es sich nur um den Mittelteil eines größeren Ganzen handelte.
Zum Start der neuen Serie „Andor“ fragte die New York Times, ob Tony Gilroy „eine neue Hoffnung für ,Star Wars‘ bringen kann“, Die Kritiker beantworteten die Frage überwiegend mit Ja. Die Atmosphäre der Disney-Serie ist ausgesprochen erwachsen und verlässt sich nicht mehr nur darauf, bei älteren Fans Jugenderinnerungen wachzuküssen. „Andor“ geht weit ins Thriller-Genre und wirft sogar einen Blick auf die harte Arbeitswelt in der Ära des Galaktischen Imperiums.
Erstmals wurde so ein rauerer Ton in „Rogue One – A Star Wars Story“ angeschlagen. Der Kinofilm von 2016 steht außerhalb der drei Trilogien, zeigt aber die direkte Vorgeschichte zu „Krieg der Sterne“: Wie die Rebellen die Baupläne des Todessterns erbeuten konnten. Neben Jyn Erso (Felicity Jones) war daran Cassian Andor (Diego Luna) maßgeblich beteiligt – unter Einsatz seines Lebens. Das Schicksal des Rebellenspions, der Luke Skywalkers Heldentaten erst ermöglichte, ist also bekannt, sein Werdegang wird nun in „Andor“ erzählt.
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