Schreiben als Auszeit vom Witzigsein

Dirk Stermann – das Gute kommt zuletzt.
Dirk Stermann legt mit "Der Junge bekommt das Gute zuletzt" einen berührenden Roman vor.

Dirk Stermann steht seit Jahren für herzhaften Schmäh und brachiale Satire. Gemeinsam mit Langzeit-Kollegen Christoph Grissemann, mit dem er seit 25 Jahren beruflich liiert ist, bearbeitet er wöchentlich in "Willkommen Österreich" die Lachmuskeln der Fernsehzuseher. Damit avancierte der 50-Jährige auch zum Lieblings-Piefke der Ösis. Doch Stermann kann auch ohne Grissemann – und solo als Autor überzeugen. Während seine ersten Bücher voller Komik und Satire waren, überrascht er jetzt mit einem berührenden Roman. In "Der Junge bekommt das Gute zuletzt" (Rowohlt) erzählt Dirk Stermann die traurige Lebensgeschichte des 13-jährigen Claude.

KURIER: "Die allertraurigste Geschichte von allen", steht am Buchrücken, und darunter ist von einer "24-Stunden-Ameise" die Rede. Was hat eine Ameise mit Ihrem Roman zu tun?

Dirk Stermann: Ich war in Costa Rica und bin dort auf eine Gewehrkugelameise gestoßen. Der Indio, der uns durch den Urwald führte, warnte uns eindrücklich davor. Denn ihr Stich ist der schlimmste Schmerz, den es gibt. Dann habe ich gegoogelt und bin auf den Insektenforscher Justin O. Schmidt gekommen, der sich von 150 Insekten stechen ließ und danach einen Pain-Index mit einer Skala von 0 bis 4 entwarf. Das war der perfekte Rahmen für meine traurige Geschichte. Denn bei Claude, meinem Protagonisten, geht der seelische Schmerz über 4 hinaus.

Sie betten Ihre Geschichte in den Alltag einer kaputten Familie ein. Wollen Sie damit Kritik an gesellschaftlichen Rahmenbedingungen üben?

Ich will damit niemanden anprangern. Und so kaputt ist diese Familie gar nicht. Es ist halt so, dass sich beide Elternteile um ihr eigenes Leben kümmern und dabei auf ihren Sohn Claude vergessen. Aber das ist heutzutage doch nichts Besonderes, denn wir werden ja so gebrieft: Man soll so individualistisch wie möglich leben. Oder? Das führt aber auch zu Familien, wo sich jeder nur um sich selbst kümmert und eine Grundsolidarität fehlt. Das Resultat des Neoliberalismus spiegelt sich im Zerfall unserer eigenen Gesellschaft wieder. Und das ist unheimlich. Deshalb habe ich Claude Personen zur Seite gestellt, die auf ihn aufpassen, ihm Geborgenheit geben.

Darunter ist Dirko, ein Taxifahrer, der an multipler Sklerose leidet und Claude in Wien zu Orten führt, an denen früher Menschen hingerichtet wurden. Wie kommt man auf so eine Idee?

Ich habe in Deutschland angefangen, Geschichte zu studieren, und musste, als ich dann nach Wien ging, österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte nachmachen. Am Anfang dachte ich, dass das so Sisi-Quatsch sein wird, aber es war irrsinnig interessant. Einige spannende Details über Wien verpacke ich nun auch im Roman – darunter auch die Geschichten über die Orte in Wien, wo öffentliche Hinrichtungen stattgefunden haben. Es ist ein bizarr-touristischer Blick auf die Stadt.

Schreiben als Auszeit vom Witzigsein
Credit: rowohlt. Honorarfrei bei Namensnennung und im Rahmen der Berichterstattung zu "Der Junge bekommt das Gute zuletzt".
Genießen Sie es, einmal nicht witzig sein zu müssen?

Ich war ja noch nie ein Witzeklopfer mit Villacher-Fasching-Humor. Ich habe vielmehr eine Tendenz zur fröhlichen Resignation. Ich komme aus der Melancholie. Das Klischee, dass Humoristen traurige Menschen sind, ist nicht ganz falsch. Das Tolle am Schreiben ist, dass es eine witzfreie Zone bleiben darf. Es ist ja nicht immer lustig, oft sogar eine Qual, wenn man Woche für Woche im Fernsehen Witze erzählen muss, die dann noch andere für einen verfasst haben. Wenn man nur auf seinen Humor reduziert wird, nervt das. Schreiben ist mit Abstand jene Arbeit, die ich am liebsten mache.

Hatte der Verlag irgendein Mitspracherecht?

Nein, überhaupt nicht. Ein Problem gab es nur mit dem Titel. "Junge" war dem österreichischen Vertriebsmenschen bei Rowohlt zu Deutsch. Dann wurden ein paar Leute dazu befragt und die Mehrheit hatte kein Problem damit. Der Titel blieb.

Immer mehr Jugendliche aus Österreich finden Essen "lecker" oder "gehen die Treppe hoch". Warum sprechen immer mehr Jugendliche bundesdeutsch?

Das liegt zum Teil auch daran, dass sie Deutsches Fernsehen schauen. Es ist nicht aufhaltbar. Meine Tochter ist 24, in Wien aufgewachsen und spricht ähnlich schlecht Wienerisch wie ich. Das Gleiche gilt für ihre Freunde. Das finde ich ehrlich gesagt schade, weil ich Dialekte großartig finde.

Lesungen scheinen für Autoren immer wichtiger zu werden. Viele gehen auf Tour. Wie stehen Sie Lesungen gegenüber?

Ich mache nicht viele Lesungen, weil ich ohnehin so oft unterwegs bin. Bei "Sechs Österreicher unter den ersten Fünf" hat man mich für Lesungen in Deutschland gebucht. Das war total deprimierend. In Frankfurt habe ich etwa in einer Rockhalle vor 30 Personen gelesen. Dort war ich auch noch krank, habe mich auf dem Weg zur Lesung verlaufen und musste einen Skinhead mit einem Kampfhund nach dem Weg fragen. Alles furchtbar. Wäre die Lesung nicht im ersten Stock gewesen, wäre ich aus dem Fenster gesprungen.

Haben Sie bereits "Ich will nicht schuld sein an deinem Niedergang", das Buch von Christoph Grissemann und Rocko Schamoni, gelesen?

Nein. Es wäre auch total peinlich, wenn mir Christoph sein Buch geben würde – und ich ihm meines. Ich werde es mir auch im Laden nicht kaufen, denn die Menschen verwechseln uns beide ohnehin andauernd. Und vielleicht glauben die dann auch noch, dass ich mir mein eigenes Buch selber kaufe. Außerdem macht mir Christoph sein Buch nicht gerade schmackhaft – er spricht eher despektierlich darüber und sagt: Ab Seite zwölf wird es redundant.

Was verbindet Sie mit Grissemann, Schamoni und Heinz Strunk, mit denen Sie seit Jahren befreundet sind?

Auch Jaques Palminger gehört dazu. Ich schätze sie alle sehr. Wir haben viele Berührungspunkte, leben in derselben Humorwelt. Christoph und ich haben damals eigentlich nur deshalb mit unser Sendung "Salon Helga" angefangen, weil wir das allgegenwärtige Verständnis von Humor nicht ausgehalten haben. Wir wollten ein Gegengewicht zum Einheitshumor schaffen, im Radio erst nach einer halben Stunde die erste Platte spielen. Da sind die bei Ö3 damals ausgerastet.

Österreich scheitert oft – zuletzt an der Wiederholung der Bundespräsidentenwahl. Würden Sie gerne den Bundespräsidenten mitbestimmen?

Ich darf hier zwar seit fast 30 Jahren Steuern zahlen, aber nicht wählen. Ich würde gerne mitbestimmen. Es gibt in Österreich rund eine Million Menschen, die schon lange hier leben, aber noch immer nicht wählen dürfen. Das sollte man ändern.

Wer wird Bundespräsident?

Es wird darauf ankommen, wer die meisten Leute mobilisieren kann. In der Leopoldstadt wirkte sich die Wahlanfechtung der FPÖ nicht sonderlich gewinnbringend aus: Sie sind von einem schlechten auf einen nicht mehr ganz so schlechten dritten Platz gewandert.

Kommentare