Ist die Oper eine rein russische Angelegenheit? „Russland steht in gewisser Weise im Zentrum des globalen politischen Diskurses, mehr als je zuvor. Was in Europa im Moment passiert, ist eine Reaktion auf die Außenpolitik Russlands. Denken Sie an Deutschland, das für dieses massive Schuldenpaket stimmte. Dann gibt es noch diesen Kleriker Dosifej, der die Religion gewissermaßen als Waffe für seine politischen Ziele einsetzt. Das passiert in Russland ständig, aber auch in den USA. Die religiöse Rechte hat mehr Macht als je zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Der Fürst Golizyn steht für Europa. Er will Russland modernisieren, verwestlichen und zu einem Teil der europäischen Familie machen. Auch er scheitert.“ So vergleicht Salonen die Oper mit der aktuellen Lage.
Unsterbliche Melodien
Was aber empfindet er als Finne, dessen Land an das gegen die Ukraine kriegführende Russland grenzt? Er habe Mussorgskis Musik immer geliebt, sagt er und schwärmt von der Musik: „Die ist unglaublich stark, sehr kraftvoll. Einige der Melodien sind unsterblich, wie die besten von ABBA oder von Mozart oder Puccini.“ Konzertant hatte er diese Oper bereits öfter aufgeführt, aber nie szenisch.
„Ursprünglich sollte diese Produktion in Kooperation mit dem Bolschoi herauskommen. Aber der Krieg änderte alles. Einige Sänger standen Putin so nahe, dass wir sie nicht einsetzen konnten. Das hat aber nichts mit einem Boykott russischer Meisterwerke zu tun“, betont er – und setzt mit einem Exkurs über Mussorgski fort.
„Der war wie viele Künstler an seine Zeit gebunden. Da waren zwei gegensätzliche Trends im Gange, die Verwestlichung und die Russifizierung der russischen Kultur, also zwei verschiedene Trends, die gleichzeitig im Gange waren. Danach gab es eine Gegenreaktion. Mussorgski und viele seiner Kollegen waren der Meinung, dass es eine russische Kunstmusik geben müsse, die sich von den westlichen Trends unterscheidet. Interessanterweise aber hörte Mussorgski als Bub Wagner, denn der wurde in St. Petersburg und in Moskau häufig aufgeführt. In ,Chowanschtschina‘ gibt es Passagen, die an ,Lohengrin‘ und ,Tannhäuser‘ erinnern“, erklärt der Dirigent.
Dem Alkohol erlegen
Da Mussorgski aber seinem Hang zum Alkohol erlegen ist, bevor er die Orchestrierung vornehmen konnte, übernahm diese zunächst Rimsky-Korsakow und dann Schostakowitsch, Strawinsky komponierte das Finale.
Für die Salzburger Aufführung fertigte der Komponist Gerard McBurney – der Bruder des Regisseurs Simon McBurney – eine Art Brücke zwischen Schostakowitsch und Strawinsky. Für Puristen, die dadurch eine Verfremdung befürchten, wartet Salonen mit einem Beispiel auf. Als er mit Regisseur Patrice Chéreau „Elektra“ produzierte, wollte jener zwei Szenen austauschen. Er stellte das infrage. Noch heute erinnert er sich an Chéreaus Argument: „Wenn wir ,Hamlet‘ oder ,König Lear‘ genauso zeigten, wie Shakespeare sie geschrieben hat, wären sie mindestens fünfeinhalb Stunden lang. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.“
Dass selbst Komponisten keine Puristen waren, könne man bei Mozart und Richard Strauss erfahren. Erstgenannter habe die Arien stets an das Können der Sänger angepasst – und Strauss in einer Partitur einfach die Blechbläser reduziert, weil das in der Dresdner Semperoper besser geklungen habe.
Viel Publikum verloren
Da hört man den Komponisten Salonen sprechen, der in Salzburg mit Senja Rummukainen und dem Finnish Radio Orchester sein Cello-Konzert aufführt. Ein eingängiges Werk. Ist das seine Antwort auf alles Experimentelle, auf die Atonalität, wie sie in den 60er- und 70er- Jahren praktiziert wurde? „Die Komponisten wollten damals eine eigene Musiksprache erfinden. Man hat damit viel Publikum verloren, weil alles Vertraute weg war. Meine Generation musste einen Weg finden, damit umzugehen. Ich war bereit, die Musik zu erfinden, die ich selbst hören möchte.“
Kommentare