"Die Troerinnen" in der Burg: Der Tod an der Macht

"Die Troerinnen" in der Burg: Der Tod an der Macht
Kritik: Euripides als bildgewaltiger, beklemmender Kommentar zum Krieg. Ein Theaterabend, der noch lange nachhallen wird

„Die Troerinnen“ ist ein Stück ohne Männer. Die „Helden“ haben ihre Arbeit getan. Eine Stadt liegt in Schutt und Asche. Die Straßen sind bedeckt von Leichen. Eine ganze Kultur ist vernichtet. Der Tod hat die Macht übernommen. Griechenland hat die Macht in der Ägäis erobert. Zurück bleiben Leichen. Zurück bleiben die Frauen. Zurück bleibt Leid, Verzweiflung, Wut.

Kennen wir das nicht?

 

 


 

Verzweiflung

Die Inszenierung von Adena Jacobs im Burgtheater zeigt uns vier Frauen. Da ist Hekabe, die Königin Trojas, die den Tod ihrer Kinder ertragen muss. Da ist Andromache, deren Mann Hektor von Achilles geschlachtet wurde, deren Sohn Astyanax von den Mauern der Stadt geworfen wurde und die Achilles Sohn Neoptolemos aus Sexsklavin übergeben wurde.

Da ist Kassandra, die Seherin, die den Untergang von Agamemnons Familie betrachten wird, von eisigem Hass angetrieben. Und da ist Helena, deren außer Kontrolle geratener Unterleib die Vernichtung einer ganzen Kultur ausgelöst hat: „Als wir zum ersten Mal miteinander schliefen, war ich zum ersten Mal ein ganzer Mensch, und ich habe es verstanden.“

Die australische Regisseurin hat Euripides’ Text  – den Gerhild Steinbuch großartig übersetzt hat – auf seinen quälenden Kern reduziert und mit Fragmenten von Ovid, Seneca und der australischen Dramatikerin Jane M. Griffiths durchsetzt. Immer wieder sind auch Passagen in Altgriechisch zu hören.

Bilder

Das Beeindruckende an diesem zwei Stunden kurzen Theaterabend sind aber die Bilder (Bühne und Kostüme: Eugyeene Teh). Man sieht sich in Agonie windende, in fleischfarbene Kostüme gehüllte Körper mit kahlen  Köpfen. Der Chor sitzt in einem ausgebrannten Bus mit platten Reifen.  Sich verengende Bildausschnitte und Filmzuspielungen illustrieren das Grauen des Krieges.

An dieser Stelle ist ein Einschub nötig. Natürlich kann Theater niemals wirklich spürbar machen, was Krieg bedeutet. Das können übrigens auch Nachrichtenbilder nicht. Aber man kann versuchen, den Gedanken „Krieg“ künstlerisch zu übersetzen. Bilder und Worte zu finden, die der kranken Idee „Krieg“ gerecht werden. Das gelingt diesem außergewöhnlich guten Theaterabend eindrucksvoll.

Beeindruckend

Wie immer am Burgtheater wird beeindruckend gut gespielt. Sylvie Rohrer verkörpert die ihres Thrones, ihres Mannes und ihrer Kinder (deren Namen sie immer wieder aufzählt) beraubte Hekabe. Sie sitzt mit klaffenden Wunden auf einem Gynäkologenstuhl, dem Wahnsinn nahe vor Schmerz.

Sabine Haupt gibt die Andromache: Sie versucht, die Luft aus einem Inkubator zu saugen, in dem ihr aus einer Vergewaltigung entstandenes Kind liegt.

Lilith Häßle spielt die Seherin Kassandra. Sie hat das Unheil kommen sehen, niemand wollte ihr glauben, jetzt führt sie der griechische Oberbefehlshaber Agamemnon als Sklavin fort, sie wird seinen Untergang und den seines Geschlechts mit kalt glühendem Hass begleiten.

Die Schlussszenen gehören Patrycia Ziółkowska als Helena, deren Liebe zu Paris den Untergang Trojas ausgelöst hat. Sie sieht sich als „Göttin des Sex“, und ist doch nur totes Fleisch.

Am Ende gibt es lang anhaltenden, aber fast ehrfürchtigen Applaus für einen Theaterabend, der kaum zu ertragen, und gleichzeitig so großartig ist. Übrigens: Er wurde schon lange vor dem russischen Überfall auf die Ukraine geplant, wirkt aber in jeder Sekunde wie ein Kommentar dazu, wie ein Kommentar mit den Mitteln der Kunst.

 

 

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