Mit einem Silbernen Bären für beste künstlerische Leistung wurde der österreichische Kameramann Martin Gschlacht ausgezeichnet: Er erhält den Preis für seine Arbeit an dem bildgewaltigen Historiendrama „Des Teufels Bad“ von Veronika Franz und Severin Fiala.
„Schockiert und beeindruckt“ von dem Preis, wollte der 55-jährige Wiener den Silbernen Löwen „am liebsten vierteln“ und mit Hauptdarstellerin Anja Plaschg – auch bekannt als Musikerin Soap&Skin – und dem Regie-Duo Franz und Fiala teilen.
Weitere große Preise gingen an Altmeister des internationalen Autorenkinos wie den Franzosen Bruno Dumont und den koreanischen Regisseur Hong Sangsoo.
Die Preisverleihung wurde von teilnehmenden Gästen dazu genutzt, um zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufzurufen. Auch Mati Diop beendete ihre Dankesrede mit einem „Solidaritätsaufruf mit Palästina“.
Ende einer Ära
Damit ging nicht nur die 74. Berlinale mit einer (fast) überraschenden Hauptpreisträgerin zu Ende, sondern auch die Amtsperiode der derzeitigen Direktion: Zum letzten Mal fand das Filmfestival unter der Führung von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek statt.
Nach fünf Jahren endet deren Leitung, die von Anfang an unter keinem guten Stern stand: Corona-Epidemie, akute Kinokrise und schwere Finanznöte beutelten die Branche. Weiters trübten Kommunikationsschwierigkeiten das Verhältnis zwischen dem Führungsduo und der lokalen Politik und führten schließlich zum Ende ihrer Doppelspitze.
Ab nächstem Jahr soll die Amerikanerin Tricia Tuttle in Alleinherrschaft alles richten. Auch sie befand sich unter den Gästen der Gala-Zeremonie und begrüßte winkend ihr zukünftiges Publikum.
Der ewige Wunsch des deutschen Filmfestivals, endlich die Bedeutung von Cannes und Venedig erlangen zu können, wollte sich bislang nicht so recht erfüllen. Von Tuttle wird nun erwartet, die Berlinale neu aufzustellen.
Der letzte von Carlo Chatrian als künstlerischem Leiter programmierte Wettbewerb endete mit durchwachsener Qualität. Zugutehalten aber lässt sich seiner Auswahl, dass sich eine Bandbreite fand, deren Vielfalt vom „klassischen“ Erzählkino bis zum experimentellen Essayfilm reichte.
So rekonstruierte etwa der deutsche Parade-Regisseur Andreas Dresen in seiner Vergangenheitsbewältigung „In Liebe, Eure Hilde“ das Schicksal einer jungen Frau unter der Nazi-Herrschaft als konventionellen, aber berührenden Spielfilm mit gediegenen Rückblenden.
Auf der völlig anderen Seite der Skala an filmischen Ausdrucksmöglichkeiten befindet sich ein weiterer Berlinale-Sieger: der dominikanische Regisseur Nelson Carlos de los Santos Arias. Für seine Kolonialismusanalyse „Pepe“ fand er einen noch ungewöhnlicheren Ich-Erzähler als Mati Diop. Ausgerechnet in der Stunde seines Todes lernt ein Nilpferd namens Pepe sprechen – und erzählt sein Schicksal in gleich mehreren Sprachen. Pepe stammte ursprünglich aus Südwestafrika, wurde gefangen genommen und nach Kolumbien verschleppt, wo es in den Besitz von Drogenboss Pablo Escobar geriet. Als hypnotische Dokufiktion, die auf verschlungenen Erzählpfaden wandelt und mehrfach ihr Format wechselt, fordert „Pepe“ Sehgewohnheiten heraus und lässt Logik zugunsten von Materialfülle fallen. Dafür gewann er den Silbernen Bären für beste Regie.
Russische Telefonate
Einer der gravierendsten Filme der diesjährigen Berlinale fand sich in der Sektion Forum: In ihrer Doku „Intercepted“ verwendet die ukrainisch-kanadische Filmemacherin Oksana Karpovych Telefongespräche von russischen Soldaten mit ihren Familien, die der ukrainische Geheimdienst abgehört hat. Dazu zeigt sie Bilder von ausgebombten ukrainischen Häusern und zerstörten Landschaften. Die Soldaten erzählen ungefiltert von Plünderungen, Folterungen und Vergewaltigungen – und ihre Mütter, Frauen und Freundinnen hören ungerührt zu.
Als Publikum bleibt man sprachlos zurück.
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