Die Sieger der 74. Berlinale: Raubkunst und Flusspferd

Die französische Regisseurin Mati Diop erhielt den Goldenen Bären der Berlinale für ihre Raubkunst-Doku „Dahomey“
Der Goldene Bär geht an die Französin Mati Diop für ihre Raubkunst-Doku „Dahomey“, der Wiener Kameramann Martin Gschlacht erhält den Silbernen Bären für „Des Teufels Bad“

Der Goldene Bär der 74. Berlinale geht an „Dahomey“ von Mati Diop, einer profilierten französischen Regisseurin mit senegalesischen Wurzeln. Diops exzellente Raubkunst-Doku  dauert nur  67 Minuten; trotzdem konnte sie    die   internationale Preisjury unter dem Vorsitz der nigerianischen Schauspielerin Lupita Nyong’o  davon überzeugen, ihr den   Hauptpreis der  Berlinale zu überreichen.  

In „Dahomey“  dokumentiert die 41-jährige Regisseurin die Rückführung von 26 Kunstschätzen nach Benin, die von den Franzosen während der Kolonialzeit gestohlen  worden waren. Dabei gibt sie einer geraubten Königsstatue eine eigene, magische Stimme, mit der sie ihr Schicksal erzählen kann. 

Die Sieger der 74. Berlinale: Raubkunst und Flusspferd

Restitution afrikanischer Kulturgüter: „Dahomey“ von Mati Diop 

Mit einem Silbernen Bären für beste künstlerische Leistung wurde der österreichische Kameramann Martin Gschlacht ausgezeichnet: Er erhält den Preis für seine Arbeit an dem bildgewaltigen Historiendrama „Des Teufels Bad“ von Veronika Franz und Severin Fiala. 

„Schockiert und beeindruckt“ von dem Preis, wollte der 55-jährige Wiener den Silbernen Löwen „am liebsten vierteln“ und mit Hauptdarstellerin Anja Plaschg – auch bekannt als Musikerin Soap&Skin – und dem Regie-Duo Franz und Fiala teilen.
Weitere große Preise gingen an Altmeister des  internationalen Autorenkinos wie den Franzosen Bruno Dumont und den koreanischen Regisseur Hong Sangsoo.

 Die Preisverleihung  wurde von teilnehmenden Gästen dazu genutzt, um zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufzurufen. Auch Mati Diop beendete ihre Dankesrede mit  einem „Solidaritätsaufruf mit Palästina“. 

Die Sieger der 74. Berlinale: Raubkunst und Flusspferd

Silberner Bär für Kameramann Martin Gschlacht: "Des Teufels Bad“

Ende einer Ära

Damit ging nicht nur die 74. Berlinale  mit einer (fast) überraschenden Hauptpreisträgerin zu Ende,  sondern auch die Amtsperiode  der derzeitigen Direktion: Zum letzten Mal fand das Filmfestival unter  der  Führung von  Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek statt. 

Nach fünf Jahren endet deren Leitung, die  von Anfang an  unter keinem guten Stern stand:  Corona-Epidemie, akute Kinokrise und schwere Finanznöte  beutelten  die Branche.  Weiters trübten Kommunikationsschwierigkeiten   das Verhältnis zwischen dem Führungsduo und der lokalen Politik und führten schließlich zum Ende ihrer Doppelspitze. 

Ab nächstem Jahr soll die Amerikanerin Tricia Tuttle in Alleinherrschaft alles richten. Auch sie befand sich unter den Gästen der Gala-Zeremonie und  begrüßte  winkend ihr zukünftiges Publikum.

Der ewige Wunsch des deutschen Filmfestivals, endlich die Bedeutung  von Cannes und Venedig erlangen  zu können, wollte  sich   bislang nicht so recht erfüllen.  Von Tuttle wird nun erwartet,  die Berlinale neu aufzustellen. 

Der letzte von Carlo Chatrian als künstlerischem Leiter programmierte Wettbewerb endete mit durchwachsener Qualität. Zugutehalten aber lässt sich seiner Auswahl, dass sich  eine  Bandbreite fand, deren Vielfalt vom „klassischen“ Erzählkino bis zum experimentellen Essayfilm reichte.   

So rekonstruierte etwa der deutsche Parade-Regisseur Andreas Dresen in seiner Vergangenheitsbewältigung „In Liebe, Eure Hilde“ das Schicksal einer jungen Frau unter der Nazi-Herrschaft als konventionellen, aber berührenden  Spielfilm mit gediegenen Rückblenden.

Die Sieger der 74. Berlinale: Raubkunst und Flusspferd

Liv Lisa Fries in Andreas Dresens "In Liebe, Eure Hilde"

Auf der völlig anderen Seite der Skala an filmischen Ausdrucksmöglichkeiten befindet  sich ein weiterer Berlinale-Sieger: der dominikanische  Regisseur Nelson Carlos de los Santos Arias. Für seine  Kolonialismusanalyse „Pepe“ fand er einen noch  ungewöhnlicheren Ich-Erzähler als Mati Diop. Ausgerechnet in der Stunde seines Todes lernt ein Nilpferd namens Pepe sprechen – und erzählt sein Schicksal in gleich mehreren Sprachen. Pepe stammte ursprünglich aus Südwestafrika, wurde gefangen genommen und nach Kolumbien verschleppt, wo es in den Besitz von Drogenboss Pablo Escobar geriet. Als hypnotische Dokufiktion, die auf verschlungenen Erzählpfaden  wandelt und mehrfach ihr Format wechselt, fordert „Pepe“ Sehgewohnheiten heraus und lässt Logik zugunsten von Materialfülle fallen. Dafür gewann er den Silbernen Bären für beste Regie.

Die Sieger der 74. Berlinale: Raubkunst und Flusspferd

Sprechendes Nilpferd: "Pepe" von Nelson Carlos de los Santos Arias

Russische Telefonate

Einer der gravierendsten Filme der diesjährigen Berlinale fand sich  in der Sektion Forum: In ihrer Doku „Intercepted“ verwendet die ukrainisch-kanadische Filmemacherin Oksana  Karpovych Telefongespräche von russischen Soldaten mit ihren Familien, die der ukrainische Geheimdienst abgehört hat. Dazu zeigt sie Bilder von ausgebombten ukrainischen Häusern und zerstörten Landschaften.   Die Soldaten erzählen ungefiltert von Plünderungen, Folterungen und Vergewaltigungen – und ihre Mütter, Frauen und Freundinnen hören ungerührt zu.

Als Publikum bleibt man sprachlos zurück. 
 

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