Schaulauf der Eitelkeiten
In den zweieinhalb Stunden (inklusive Pause) verhandelt das mit viel Körpereinsatz aufspielende Aktionstheater Ensemble die verschiedensten Aspekte des sozialen Mit- oder auch Gegeneinanders. Der Realität wird dabei gemeinsam unter den Rock geschaut. In der ersten Stunde gesellt sich mit Benjamin Vanyek nun auch ein schwuler Mann zur Frauenrunde. Neu in der „Pension Europa“ ist auch die Deutsch-Israelin Tamara Stern, die Alev Irmak ersetzt.
Zusammen mit Aisha Eisa, Isabella Jeschke, Kirstin Schwab und Michaela Bilgeri schiebt man sich dann gegenseitig das Wort, die Wuchteln, aber auch Problemfelder zu. Es ist ein Schaulauf der Eitelkeiten. Es geht um Selbstoptimierung, um permanentes Selbstlob und Eigenblutdoping. Jeder darf mal über seine narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, über seine Erfahrungen, seine Geilheit, seine psychologischen wie physiologischen Problemzonen und Besonderheiten plaudern. Dazu präsentieren die Schauspielerinnen (und der Schauspieler) spärlich bekleidet ihre "Fettwürste", diskutieren über das perfekte Posing, so wie das Models halt machen, und ärgern sich über dieses blöde Zellulitis, das man überall hat. Sogar auf den Oberarmen!
Es geht aber auch um tagesaktuell mal mehr, mal weniger wichtige Themen wie Intim-Rasur, Klimawandel und diverse persönliche Krisen: Man fühlt sich alt, nicht schön genug, nicht (mehr) geliebt genug und chronisch überfordert. Ganz nebenbei werden dabei gesellschaftliche Bruchstellen aufgezeigt. Dazu wird gelacht, geweint, gespuckt, geblutet und gekotzt. Es geht drunter und drüber.
The Show Must Go On
Nach der Pause dreht sich dann alles um die „große Show“, um eine Geburtstagssause, die Michaela Bilgeri für Babett Arens, die Susanne Brandt ersetzt, zum 60er organisiert hat. Mit dabei ist auch der Zauberer (Raphael Macho), der mit leerem Blick dezent verloren auf der Bühne herumschlapft und Zaubertricks aufführt. Gefeiert wird nicht zusammen, sondern jeder für sich alleine. Der Sprudel fließt, am Ende ist das Geburtstagskind betrunken, gerät das Fest herrlich außer Kontrolle. Trotzdem spart Bilgeri nicht mit Selbstlob: "Die Idee, die ganze Show auf nur eine Person auszurichten, ist voll und ganz aufgegangen“.
Was die beiden neu inszenierten und aufgrund von Krieg und neuen Krisen aktualisierten Stücke verbindet, ist die Sehnsucht des Menschen, in dieser Welt wahrgenommen zu werden. Und wahrgenommen wird man heutzutage anscheinend nur noch, wenn man andauernd den Mund offen hat und redet - über sich selbst. Blöd nur, wenn einem dabei niemand zuhört, weil ja jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt ist. Das was Michaela Bilgeri und Babett Arens an diesem Abend auf der Bühne zeigen, ist ein (dezent überzeichnetes) Spiegelbild der aktuellen Ich-Gesellschaft. Auf die Bedürfnisse, die Probleme des anderen eingehen? Sicher nicht!
"Die große Pension Europa Show" ist eine von Neurosen durchzogene, gesellschaftskritische und aberwitzige Neuinszenierung: "Geht's mir gut, geht's allen gut". Wer die beiden Stücke (in der Originalfassung) noch nicht gesehen hat, bekommt mit dieser Doppelfolge einen ausführlichen Eindruck davon, warum das Aktionstheater Ensemble seit Jahren zu begeistern weiß. Wer die Stücke bereits kennt, wird sich auch nicht langweilen, denn eine aufgewärmte Suppe ist der Abend bestimmt keiner. Viel Applaus.
Termine: "Die große Pension Europa Show" im Werk X.
12. Januar, 19.30
13. Januar, 19.30
14. Januar, 19.30
17. Januar, 19.30
Konzept/Inszenierung: Martin Gruber
Dramaturgie: Martin Ojster
Text: Martin Gruber und Aktionstheater Rnsemble sowie Claudia Tondl und Elias Hirschl
Bühne, Kostüm: Valerie Lutz
Video: Resa Lut
Regieassistenz: Michaela Prendl
Mit: Babett Arens, Michaela Bilgeri, Aisha Eisa, Isabella Jeschke, Elias Hirschl, Luzian Hirzel, David Kopp, Raphael Macho, Kirstin Schwab, Tamara Stern, Benjamin Vanyek
Live-Musik: Dominik Essletzbichler, Christian Musser, Daniel Neuhauser, Gidon Oechsner, Daniel Schober, Pete Simpson
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