„Die Fledermaus“ im Theater an der Wien auf Crashkurs

Es beginnt mit Beethovens „Fidelio“: „Gott, welch Dunkel hier“. Bald kommen die ersten Klänge aus dem Grammophon: Wagners „Tristan und Isolde“. Später gibt es Verdis „Rigoletto“ und dessen „Traviata“. Ein bissl Puccini, etwas Lehár, eine Brise Millöcker. Und – ach ja, wir sind im Theater an der Wien – einen Auszug aus dem Musical „Elisabeth“, das hier uraufgeführt wurde, ebenso wie „Fidelio“ (aber nicht der „Tristan“, der war damals den Wiener Philharmonikern zu schwierig).
Ein musikalisches Potpourri der schönsten Sorte. Vielleicht auch der übelsten, denn eigentlich stünde ein anderes Werk auf dem Spielplan: „Die Fledermaus“ von Johann Strauss.

Dessen 200. Geburtstag wird in diesem Jahr gefeiert, seine wichtigste Operette wurde ebenfalls für das Theater an der Wien geschrieben. Warum man daraus einen Streifzug durch die Geschichte des Hauses macht, bleibt unerklärlich. Und rein musikalisch ein Ärgernis: Wieder einmal wird Operette als solches nicht ernst genommen. Nicht einmal bei der zentralen Produktion des Strauss-Jahres.
Stefan Herheim, Direktor des Etablissements (zu einem solchen macht er an diesem Abend das Haus), inszeniert mit großer Frechheit und auch Respektlosigkeit. Es ist definitiv nicht alles schlecht an dieser Regie, das szenische Tempo ist enorm, die handwerkliche Umsetzung präzise, visuell erlebt man einen bunten, fantasievollen, ästhetischen, kurzweiligen Abend.
Aber „Die Fledermaus“ ist als Werk so stark, musikalisch so gewaltig, dass sie diese Auffettung nicht nötig hat, ja sogar abstößt. Es wirkt fast wie musikalische Diarrhö, was man hier vernimmt. Viel zu viel, wenn auch viel zu viel des Guten.
Die Reise durch die Aufführungsgeschichte des Hauses ist nicht der einzige Regiezugriff. Es gibt Nazis auf der Bühne (mit Dr. Falke als Obernazi), die Armbinden mit einer Fledermaus drauf tragen. Der Frosch ist zur zentralen Figur aufgewertet – und dadurch gleichzeitig abgewertet, weil es seine große Szene so gut wie gar nicht gibt, er (Alexander Strobele) dafür aber als Kaiser Franz Joseph (wie originell!) durch den Abend irrlichtert.
Das Bühnenbild ist der Zuschauerraum des Theaters an der Wien, das sich mehrfach zum Gefängnis dreht. Gut sind sechs Ballett-Sträusse, die den Bart des Komponisten tragen und auch an Conchita erinnern. Sie tanzen enorm lustig zur „Pizzicato“-Polka und zur Polka „Unter Donner und Blitz“, immerhin zu zwei Werken des richtigen Komponisten. Sie geben der Aufführung noch mehr Tempo, wie auch der gut geführte Schoenberg-Chor. All das von inszenatorischer Professionalität, die außer Zweifel steht.
Dennoch: Diese „Fledermaus“ verfängt sich und baut einen Crash, obwohl eine echte niemals irgendwo dagegen fliegt, weil sie mit einer Art Echolot unterwegs ist.
Apropos Tempo: Was auf der Bühne mit Fullspeed geschieht, wird im Orchestergraben mit angezogener Handbremse begleitet. Die Wiener Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Petr Popelka klingen von Anfang an etwas zäh, langatmig, die Genialität des Komponisten vermittelt sich freilich in jenen Momenten, in denen auch „Die Fledermaus“ gespielt wird, aber nicht aufgrund der Interpretation. Das ginge, gerade bei einem Wiener Orchester, wesentlich besser.

Leider ist diese Neuproduktion auch sängerisch durchwachsen besetzt. David Fischer ist als Alfred der Beste des Abends, mit schöner, guter Höhe darf er ein paar Hits abspulen. Aline Wunderlin hat die Spitzentöne für die Adele und hält das hohe D gewaltig lange – in der Tiefe gibt es weniger zu berichten. Thomas Blondelle ist ein solider Einstein, dem Anlass aber nicht ganz angemessen. Hulkar Sabirova singt die Rosalinde und vieles mehr mit kräftigen Sopran-Attacken, aber nicht viel Ausdruck. Leon Košavic ist Dr. Falke (hier auch Hitler) und sehr spielfreudig. Kresimir Stražanac gibt den Gefängnisdirektor Frank komödiantisch, Jana Kurucová turnt als Prinz Orlofsky in der Proszeniumsloge, dass einem angst und bange wird, stimmlich ist es aber weniger bemerkenswert. Alexander Kaimbacher ist ein guter Dr. Blind, Ines Hengl-Pirker eine sehr amüsante Ida, Adeles Schwester, mit Ottakringer Akzent.
„Die Fledermaus“ übersteht alles, das hat sich auch im Jahr 2001 bei der Inszenierung von Hans Neuenfels bei den Salzburger Festspielen gezeigt, die zu einem der größten österreichischen Theaterskandale der vergangenen Jahrzehnte wurde. Diese Produktion wäre vielleicht gern ein ähnlicher Aufreger, ist aber – das sah man auch am recht matten Applaus und an den gemäßigten Buhs – weit davon entfernt.
Wie schön wäre es doch gewesen, wenn sich das Uraufführungstheater nicht nur mit sich selbst, sondern musikalisch und sängerisch auf höchstem Niveau mit dieser Operette auseinandergesetzt hat. Wenn es dann wieder heißt, dieses Genre ist so veraltet, dass man es nicht mehr ernst nehmen kann, dann hat dieser Abend wieder ein Stück dazu beigetragen.
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