Die Bayreuther Schlagerparade

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Die Richard-Wagner-Festspiele am Grünen Hügel eröffneten mit "Die Meistersinger von Nürnberg": die Kritik.

"Die Meistersinger - das Musical": Das war nun erstmals zu erleben. Nicht am Broadway oder am Londoner West End, dort hätte es wesentlich temporeicher, zündender und auch lustiger sein müssen. Auch nicht bei den Vereinigten Bühnen Wien, wo man ja allerlei vermusicalisiert. Nein, dieses Werk war am Grünen Hügel in Bayreuth zu sehen, zur Eröffnung der Festspiele. Wenn es nur szenisch eine richtige Musical-Produktion gewesen wäre...

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Festivalchefin Katharina Wagner hat Matthias Davids, den hochdekorierten Musical-Verantwortlichen des Linzer Landestheaters, mit der Inszenierung betraut. Der hatte schon im Vorfeld angekündigt, sich auf den in dieser Oper Richard Wagners sehr präsenten Humor fokussieren zu wollen. Ein nachvollziehbarer Gedanke, bei diesem historisch so stark belasteten Werk einmal das Komödienhafte zu betonen - dafür müsste diese Produktion allerdings lustig sein. Und das ist sie leider nicht.

Davids räumt alles weg, was an politischem Ballast auf den "Meistersingern" lastet. Ganze Generationen von Regisseuren hatten sich an diesem Stück abgearbeitet, an der Deutschtümelei, am Nationalismus, an der Abgrenzung zum "welschen Tand", an der Frage, was ein deutscher Meister sei. Allein schon deshalb, weil die "Meistersinger" Hitlers Lieblingsoper waren, wurde von Neuproduktionen ein Statement dazu jahrzehntelang geradezu herausgefordert. Noch dazu in Bayreuth, wo man mit der eigenen Vergangenheit in der Aufarbeitung nach dem Zweiten Weltkrieg sehr offen umging.

Offenbar sind wir aber nunmehr endgültig an dem Punkt angekommen, an dem die Geschichte zurückgedreht wird, sogar in der Kunst. Politisch sieht man das seit einigen Jahren in vielen Regionen der Welt, nun setzen auch die sonst stets innovativen Bayreuther Festspiele ein derartiges Signal. Regietheater ist offenbar das, was den Rechten die Wokeness ist. Deshalb - vielleicht war das ein Hintergedanke - kann man es ja auch einmal mit den gegenteiligen Mitteln versuchen. Wegschauen ist der Trend der Zeit, nicht nur andauernd mit Kriegsnachrichten, mit trauriger Historie, mit Schreckensbildern konfrontiert werden, endlich einmal nur genießen dürfen. Diese "Meistersinger" sehen so aus, als wäre dieser Wunsch der Vater der Inszenierung.

Wenn jedoch alles Politische, alles Provokante, alles Aufrüttelnde weg ist - was kommt stattdessen? Das ist das größte Problem: diesfalls eine große Leere.

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Davids zeigt die Meister als eine Art Karnevalsgilde, mit Narrenkappen, die ihre jährliche Sitzung abhalten und die Faschingsprinzessin an den neuen Prinzen verscherbeln. Im dritten Aufzug wird das Ganze noch einmal überhöht: Die Festwiese ist eine Wagner'sche Schlagernacht, mit einem gezielt geschmacklosen Bühnenbild (Andrew D. Edwards), mit einer verkehrten aufgeblasenen Kuh und unzähligen deutschen Klischees, von einer Choristin, die als Angela Merkel verkleidet ist, bis zu einem Robert Geiss-Double, von Fußballfans bis zu den sieben Zwergen, von Dirndlträgerinnen bis zu ein paar Punks. Wenn man eine KI nach deutschen Gemeinplätzen befrüge, käme wohl so etwas heraus. Zum Stück trägt das nichts bei. Und gesehen hat man solche deutschen Kitschorgien gerade bei "Meistersinger" auch schon mehrfach.

Die beste Szene ist die Schusterstube, da hält sich die Regie zurück und überlässt den Protagonisten das Feld. Die Prügelszene, bei der sogar ein Boxring aufgebaut wird, ist West End superlight. Optisch schön ist die erste Kirchenszene mit einer überdimensionalen Treppe und einer kleinen Kirche ganz oben (die dann zusammenbricht). Nürnberg selbst sieht aus wie eine bunte Lebkuchen-Fachwerk-Stadt, also auch auf Stereotypen reduziert.

Die Choristen müssen immer wieder tanzen, können das aber natürlich nicht wie Musicaldarsteller. Zu den einzelnen Figuren wird wenig beigetragen, Hans Sachs ist weder besonders poetisch gezeichnet, noch melancholisch. Beckmesser wird auf eine Karikatur reduziert (ohne erkennbare politische Interpretation dessen), Walther von Stolzing ist seiner US-Herkunft entsprechend Cowboy-like.

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Beim Finale - "Verachtet mit die Meister nicht" - zieht Beckmesser den Stecker, will also die groteske "Starnacht in Bayreuth" beenden, indem er den Strom abdreht, als Botschaft ist das aber zu wenig. Ganz kurz glaubt man, dass Stolzing seiner Eva die Meisterkette umhängt, dass es also ein kleines feministisches Statement gibt, aber auch dazu kommt es nicht.

Vielleicht war der besonders raffinierte Hintergedanken an dieser Produktion, zu zeigen, wohin es führt, wenn selbst die Kunst nicht mehr aufmuckt, alles abnickt, nicht dagegenhält, nur noch Unterhaltung bieten will. Wahrscheinlich ist es aber einfach nur daneben gegangen.

Nicht ganz so daneben ist das Dirigat von Daniele Gatti, obwohl es auch da an Substanz, gleichermaßen an Kraft wie an Zartheit, an Ausdruck und an Differenzierung fehlt. Bei der Prügelszene wackelt es vor allem anfangs, das Vorspiel ist allzu rasant, das Preislied schleppend. Klanglich sind diese "Meistersinger" hingegen sehr schön, die Übergänge dann aber wieder so abrupt, dass sich selten ein wirklicher Sog entwickelt.

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Die Besetzung ist eindeutig das Beste an dieser Produktion. Michael Spyres ist ein erstklassiger Stolzing mit viel Power, guter Höhe und schöner Phrasierung. Christina Nilsson singt die Eva mit schlankem Sopran gut und berührend, Michael Nagy besticht stimmlich als Beckmesser und ist auch darstellerisch enorm präsent. Georg Zeppenfeld vermag es, den Hans Sachs bis zum Ende solide und ohne Ausdauerprobleme zu gestalten, seine beste Partie ist der Schuster aber nicht. Jongmin Park orgelt den Pogner zu sehr, Christa Mayer (Magdalene) glaubt man die Beziehung zum stimmlich fabelhaften Matthias Stier (David) nicht.

Die restlichen Meister sind gut ausgesucht, die Armen müssen absurde Kostüme (Susanne Hubrich) tragen, einer geht dauernd in eine Rauchkammer und kommt völlig stoned zurück.

Es hat schon lustige "Meistersinger" gegeben (zum Beispiel von David Bösch in München), zuletzt magische von Keith Warner in Wien. Diese nun in Bayreuth können es mit jenen von Barrie Kosky ebendort oder auch von Katharina Wagner oder anderen Familienmitgliedern nicht aufnehmen.

 

 

 

 

 

 

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