Diagonale feierte filmische Vielfalt

Ein junger Pfleger legt einer älteren Dame tröstend die Hand auf die Schulter.
Unmutsäußerungen über ORF-Mittelkürzungen und ungleiche Verteilung der Fördergelder

Die Diagonale in Graz dient nicht nur als Treffen der Jahrgangsbesten, sondern auch als Stimmungsbarometer der heimischen Filmbranche. Und trotz einer Besuchersteigerung und der bis zum (heutigen) Abschluss präsenten Frühlingssonne umwehte das Festival ein steter Hauch von Protest. Die Regisseure Houchang Allahyari und Ruth Beckermann werden sich davon dennoch nicht die Freude verderben lassen.

Der gebürtige Iraner Allahyari, der in den 1990ern mit "I Love Vienna" und "Geboren in Absurdistan" bekannt wurde, hat mit seinem neuen Film "Der letzte Tanz" die Jury überzeugt und den Spielfilm-Preis erhalten. Schon 2011 war "Die verrückte Welt der Ute Bock" in Graz für das Drehbuch prämiert worden, 2012 wurde seine Kurz-Doku "Das persische Krokodil" gewürdigt. Zur Krönung in diesem Jahr erhielt zudem seine Darstellerin Erni Mangold den Preis als beste Schauspielerin.

Beckermann wiederum, die zuletzt vor 13 Jahren bei der Diagonale für "homemad(e)" den Dokumentarfilmpreis einheimste, erhielt die Auszeichnung in diesem Jahr für "Those Who Go Those Who Stay" - und ebenso wie Allahyari 15.000 Euro (plus 6.000 Euro an Sachpreisen). 2001 war der Preis noch mit 80.000 Schilling dotiert gewesen. Als bester Darsteller wurde Gerhard Liebmann für gleich mehrere Auftritte (u.a. in "Blutgletscher") ausgezeichnet, den Preis für "Innovatives Kino" nahm Lukas Marxt für "High Tide" entgegen.

Schwerer Stand für innovatives Kino

Gerade das innovative Kino, das seit vielen Jahrzehnten den österreichischen Film weltweit bestens vertritt, hat jedoch einen äußerst schweren Stand - wenn man die Zahlen einer Förderstudie der Kulturdokumentation Österreich ansieht, die die Berichte von 19 Bundes- und Länderförderstellen zusammenführt und die im Rahmen des Festivals präsentiert wurde. Demnach kamen die Erhöhungen der vergangenen Jahre - von 57,9 auf 74,5 Millionen - so gut wie ausschließlich dem Fernsehfilm und dem Filminstitut zugute.

Selbst Produzent Helmut Grasser, zuletzt mit dem Alpenwestern "Das finstere Tal" erfolgreich, musste zugeben, dass es "vermutlich gescheit" gewesen wäre, das zusätzliche Geld nicht nur dem Filminstitut, in dem die großen Produktionen angesiedelt sind, zufließen zu lassen, sondern einen Teil des Geldes für die innovative und junge Filmproduktion zu verwenden. Gleichzeitig warnte er - wie schon ein Video bei der Eröffnung - vor den Folgen, sollte die Mittelkürzung des ORF nach dem Wegfall der Gebührenrefundierung Realität werden.

Würde dagegen die eingeforderte Zweckwidmung von 20 Prozent der Gebührengelder für heimische Produktionen kommen, dann könne man auch über Umschichtungen sprechen. Auf Umschichtungen pochen indes nicht zuletzt die Institutionen, deren Budgets seit Jahren stagnieren. 83 Prozent der Fördergelder fließen laut Studie in die Filme und nur 17 Prozent in jene Bereiche, die ermöglichen, dass diese Filme auch gesehen (Kinos, Festivals), bewahrt (Filmarchiv, Filmmuseum) und reflektiert (Publikationen) werden.

Besonders starke Kritik musste in diesem Zusammenhang die Stadt Wien aushalten, agiere diese doch im Bereich der künstlerischen Produktion und der kleineren und mittleren Infrastruktur "beschämend". Selbst Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark und Salzburg investieren demnach mehr in den Nachwuchs, obwohl sich der Großteil der Filmszene ja in Wien befinde. Zumindest für fünf Tage im März pilgern jedoch alle nach Graz - was 25.500 Besucher (500 mehr als 2013) laut Diagonale auch eindrucksvoll belegen.

Am Beginn der Leistungsschau des österreichischen Films stand ein Hilferuf der Filmschaffenden in Form eines Protestvideos. Eine Kürzung der ORF-Mittel für heimische Produktionen könnte demnach die Branche in ihren Grundfesten erschüttern.

Nachdem es im Vorjahr einige starke Spielfilm-Premieren gab, rückten dieses Jahr die Dokumentationen in den Blickpunkt, wofür schon der Eröffnungsfilm "Das große Museum" die Richtung wies. Stark akklamiert wurde "Everyday Rebellion", in dem die Riahi-Brüder mit Verve die Erfolgsmethoden gewaltloser Widerstandsbewegungen wie Occupy Wall Street oder Femen zeigen. Dass nicht nur fünfjährige Recherchearbeit, sondern auch das Mitfilmen beim Nordkap-Trip mit den grantigen Großeltern effektvoll sein kann, zeigte die Doku "Sitzfleisch" der Jungfilmerin Lisa Weber.

Gleich mehrere bemerkenswerte Künstlerporträts waren zu sehen. Fotograf Erich Lessing wurde von Tizza Covi und Rainer Frimmel über einen längeren Zeitraum "vor die Kamera" geholt, während die Schriftstellerin Ilse Aichinger von Christine Nagel mit einem zärtlichen Erinnerungsbild aus Prosa und persönlicher Geschichte gewürdigt wurde ("Wo ich wohne"). Eine Wiederentdeckung bot das pulsierende Porträt "D.U.D.A!" über den schrägen Tiroler Komponisten Werner Pirchner, dessen Ö1-Jingles täglich im Radio zu hören sind.

Spielfilme

Auch im Spielfilmbereich waren bemerkenswerte Arbeiten zu sehen: etwa Elfi Mikeschs poetische Bilderflut "Fieber", aber auch interessante Komödien. "Über-Ich und Du" von Benjamin Heisenberg ist ein gelungenes Spiel mit dem Genre – und bietet ein köstliches Buddy-Duo (Georg Friedrich und André Wilms). Und in ihrem Spielfilmdebüt "High Performance" lässt Johanna Moder die unterschiedlichen Lebensentwürfe zweier Brüder auf intelligente Weise aufeinanderprallen.

Großer Diagonale-Preis Spielfilm
Houchang Allahyari für Der letzte Tanz

Großer Diagonale-Preis Dokumentarfilm
Ruth Beckermann für Those who go Those who stay

Diagonale-Preis Innovatives Kino
Lukas Marxt für High Tide
Lobende Erwähnung: Josephine Ahnelt für Wasser aus Korn

Diagonale-Preis Kurzspielfilm
Stefan Bohun für Musik
Lobende Erwähnung: Alexandra Makarová für SOLA

Diagonale-Preis Kurzdokumentarfilm
Antoinette Zwirchmayr für Der Zuhälter und seine Trophäen

Diagonale-Preis der Jugendjury
Britta Schoening, Michaela Taschek und Sandra Wollner für Uns geht es gut

Diagonale-Preis Bildgestaltung des Verbandes Österr. Kameraleute AAC
Thomas W. Kiennast für Das finstere Tal (Spielfilm)
Joerg Burger und Attila Boa für Das große Museum (Dokumentarfilm)

Diagonale-Preis Schnitt des Verbandes Film- und Videoschnitt aea
Karina Ressler für Oktober November (Spielfilm)
Dieter Pichler für Das große Museum (Dokumentarfilm)

Diagonale-Preis Sounddesign des Verbandes Österreichischer Sounddesigner/innen
VOESD

Christoph Amann für Shirley – Visions of Reality (Sounddesign Spielfilm)
José Miguel Enriquez und Alejandro de Icaza für Calle López (Sounddesign Dokumentarfilm)

Diagonale-Preis Szenenbild und Kostümbild
des Verbandes Österreichischer Filmausstatter/innen
Christina Schaffer für Fieber (Szenenbild Spielfilm)
Theresa Ebner-Lazek für Die Werkstürmer (Kostümbild Spielfilm)

Diagonale-Publikumspreis
Gloria Dürnberger für Das Kind in der Schachtel

Diagonale-Schauspielpreis in Kooperation mit der VDFS
Erni Mangold für Der letzte Tanz
Gerhard Liebmann für Blutgletscher, Das finstere Tal und Bad Fucking

Preis Innovative Produktionsleistung
Prisma Film- und Fernsehproduktion für Alphabet und Dor Film für Der Letzte der Ungerechten

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