"Das Theater wird niemals sterben"

"Das Theater wird niemals sterben"
Interview: Maria Köstlinger, Sandra Cervik und Johannes Krisch spielen in der Josefstadt Bernhards "Ritter Dene Voss".

Die Josefstadt zeigt  ab  17. November Thomas Bernhards schwarze Familienkomödie „Ritter Dene Voss“. Johannes Krisch, Maria Köstlinger und Sandra Cervik spielen die einander in Hassliebe verbundenen Geschwister Worringer

KURIER: Können Sie eigentlich noch Brandteigkrapfen sehen?
Johannes Krisch: Ja. Noch geht’s (alle lachen).

Sie müssen sie ja essen. Mögen Sie Brandteigkrapfen?
Krisch: Nein, ich bin kein Süßer. Ich mag eher Meeresfrüchte. Aber ... Augen auf bei der Berufswahl!

Ob das nicht auch so eine Gemeinheit von Thomas Bernhard war ... ?
Maria Köstlinger: Ja, das viele Essen im zweiten Akt ...

Das Stück trägt die Namen von einem großen Schauspieler und zwei großen Schauspielerinnen. Ist es schwierig, den Text zu spielen? Muss man sich da abgrenzen?
Krisch: Es geht um die Familie Worringer. Ich bin der Ludwig Worringer und das sind meine Worringer-Sisters.  Und das hat nichts mit diesen drei großen Kollegen zu tun. Weil, wenn es die drei großen Kollegen nicht gegeben hätte, würde das Stück vielleicht „Cervik Köstlinger Krisch“ heißen (alle lachen).
Sandra Cervik: In Wien ist das eine Herausforderung. Andernorts ist das Stück ja schon gespielt worden, mit anderen Schauspielern, die wahrscheinlich nicht gefragt wurden, wie das denn ist.

Also war meine Frage  typisch wienerisch?
Köstlinger:
Man spielt ja immer wieder Rollen, die schon von berühmten Schauspielern gespielt worden sind, wo man ein bisschen Druck auf der Brust hat, weil in Wien besonders darauf geschaut wird: Wie macht die das jetzt?

Hat man die legendären Claus-Peymann-Inszenierungen im Hinterkopf?
Cervik: Es ist so, dass Regie und Bühne dem auch Rechnung tragen, den großen Vorbildern der vorigen Generation.
Krisch:  Und Bernhard hat ja auch eine sehr engmaschige Partitur geschrieben. Das zu durchbrechen ist fast unmöglich. Das ist ein sehr eng gestrickter Pullover!

 

"Das Theater wird niemals sterben"

Wie fühlt sich dieser Pullover an?
Krisch:
Es ist ein Kaschmir-Pullover, der aber auch kratzt. Der Text geht tief in die Wiener Psyche. Wir alle kennen ja diese Konflikte in den Familien, wenn die Mama sagt, willst du noch ein Stück Kuchen, um von den eigentlichen Problemen abzulenken.

Frau Köstlinger, Sie haben noch nie Bernhard gespielt.
Köstlinger: Das ist definitiv eine unglaubliche Herausforderung. Alleine die Vorarbeit ... Und man hat auch nichts, um sich festzuhalten, weil es so sprunghaft ist. Für mich ist das sehr ungewöhnlich und neu.
Cervik: Weil es psychologisch unpsychologisch ist. Es hat eine Psychologie, aber keine, die wir psychologisch nennen würden. Deshalb gibt es auch diese eigenartigen Sprünge im Text. Man muss sich einen emotionalen Pfad treten.

Bernhard ist bei aller Erbarmungslosigkeit auch in diesem Stück sehr komisch.
Krisch: In der Tragik steckt ja die Komik. Das ist ja das Absurde. Worüber lachen wir? Wenn jemand mit dem Stuhl umfällt. Bernhard hat das bis zum Exzess betrieben, weil er diese Wiener Matschkerei so intus gehabt hat. Da steckt natürlich ein großer Grad an Schadenfreude drin.
Cervik: Diesen Dingen, denen man nicht entkommt, wohnt viel Komik inne. Man blickt von außen drauf und sieht, es bräuchte nur drei Schritte, aber die kann man nicht gehen.
Krisch: Es geht auch um einen Generationskonflikt. Die Fehler der Eltern setzen sich bei den Kindern fort. Man merkt: Das hat mein Vater immer zu mir gesagt, ich habe mir geschworen, ich werde das nie zu meinen Kindern sagen, und dann mache ich es trotzdem, weil es so im Bewusstsein drinnen ist.

Haben sich diese Hassliebe-Beziehungskonstellationen in den Jahren der Pandemie verschärft?
Köstlinger: Definitiv hat dieses Eng-zusammen-Sein viel ausgelöst.
Cervik: Das Aufeinander-geworfen-Sein, einander nicht entrinnen zu können.

Jetzt haben wir die Pandemie erwähnt, da muss ich die Frage stellen: Warum gehen die Leute nach Corona nicht mehr ins Theater?
Krisch: Weil wir eine große Inflation haben. Wenn man ins Theater geht, sind 250 Euro schnell weg, für Karten, Taxi und Brötchen. Das überlegen sich die Menschen gut. Wir leben in wirklich prekären Zeiten. Ich glaube, die Leute würden gerne ins Theater gehen, aber die Politik hat es leider vermasselt.
Cervik: Ich glaube, da kommen viele Dinge zusammen.  Das Wiederaufsperren, Wiederzusperren, abgesagte Vorstellungen. Diese Unsicherheiten waren nicht förderlich.  Aber ich habe das Gefühl, es gibt schon einen kleinen Aufwärtstrend.
Krisch: Das Theater gibt es, seit wir ums Lagerfeuer gehupft sind und uns Geschichten erzählt haben, ich bin sicher, das Theater wird niemals sterben.
Cervik: Theater hat ja auch ein freudvolles Element, und das ist mit Corona so schwer geworden, mit den Masken, mit der Personalisierung, mit der Distanz.
Köstlinger: Und kurz davor wird es abgesagt, man kann nachher nicht ausgehen, weil die Lokale zuhaben.
Cervik: Alles wurde so anstrengend. Und dann sieht man vielleicht  noch eine Vorstellung, die anstrengend ist.
Köstlinger: Das hört man jetzt auch wieder öfter: Um Gottes Willen, ich will etwas Lustiges sehen.

Soll man dem Rechnung tragen beim Erstellen des Spielplans?
Krisch: Nein, denn da wären wir beim RTL-Theater!
Cervik: Was mich wundert: Dass jetzt niemand sagt, nach Corona möchte ich Auseinandersetzung am Theater sehen, ich will Antworten haben. Denn wo sollen die herkommen? Von der Politik sicher nicht.

Im Stück geht es ja auch darum, dass Musik, Theater  und  Literatur die Rettung sein könnten. Hat Kunst heute immer noch diese Rettungsfunktion, wie es Bernhard andeutet?
Cervik: Ich mag die Diskussion nicht führen, ob Theater noch sinnvoll ist. Natürlich kann man sagen, wir brauchen Theater nicht in dem Maß, wie wir Lebensmittel brauchen. Aber Kunst ist das moralische Rückgrat – dort, wo Sachen besprochen werden, ist immer die Kunst zu finden. Wo, wenn nicht dort?
Köstlinger: Man hört ja auch, dass nicht nur Theater mit Besucherschwund zu kämpfen haben, auch Museen, Kabarett ...
Krisch: Wenn ich Kabarett will, brauch’ ich mir ja nur die Parlamentsübertragungen anzuschauen (alle lachen)!

Thomas Bernhard ist nicht in Vergessenheit geraten, wie manche meinten, sondern wird immer noch sehr häufig gespielt. Ist er der neue österreichische Klassiker?
Köstlinger: Ja, die Menschen setzten sich dem jetzt gerne aus.
Cervik: Ich finde, er steht in einer merkwürdig logischen Nachfolge zu Nestroy. Diese Bissigkeit, dieser Blick, diese Lust, Sachen aufzureißen!

 

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