Das Opernhaus des Jahres steht in München
Die Bayerische Staatsoper München ist der große Gewinner der diesjährigen Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt nach den herausragenden Leistungen der vergangenen Saison.

KURIER: Gratulation zu den vielen Auszeichnungen! Aber wie sehr lassen sich künstlerische Produktionen überhaupt derart messen?
Nikolaus Bachler: Kunst entzieht sich normalerweise einem solchen Ranking, wir sind ja nicht beim Sport. Aber wir freuen uns riesig über diese ganze Bandbreite, über die Auszeichnungen in unterschiedlichen Bereichen. Das ist wunderschön für ein Opernhaus und das Ergebnis eines künstlerischen Willens, einer konsequenten Arbeit. Man darf sich im Theater nie faul ausruhen und alles annehmen, wie es schon seit Jahrzehnten ist.
Aber gerade in der Oper gibt es regelmäßig Diskussionen, wie wichtig der theatralische Bereich überhaupt ist. Viele Besucher sind überzeugt, es gehe immer noch primär um Musik.
Es geht um Musik-Theater. Uns sind daher beide Bereiche gleichermaßen wichtig. Man muss als Opernhaus auch eine Haltung haben, das ist unsere Aufgabe in der Gesellschaft. Man hört oft den Satz: Wir haben doch die schöne Musik! Aber das reicht nicht als Aussage auf der Bühne. Man braucht eine Botschaft. Die wiederum schließt Unterhaltung und Schönheit nicht aus.
Welcher dieser Preise freut Sie ganz besonders?
Die Auszeichnung im Nachwuchsbereich. Sie zeigt, dass unsere Investitionen in die Zukunft, ins Opernstudio und in die Orchesterakademie, richtig sind. Das Wichtigste an solchen Preisen ist aber, dass damit auch der Mut im ganzen Haus steigt. Sie geben uns die Freiheit, noch risikoreicher zu agieren, die ausgetretenen Pfade immer wieder zu verlassen.
Ist es beim deutschen Publikum leichter, mit neuen Regie-Zugängen zu punkten als beim österreichischen?
Das glaube ich nicht. Es finden auch in Österreich szenisch interessante Dinge statt, aber in erster Linie in den Bundesländern und nicht in Wien. Das ist sehr auffällig. Ich bin überzeugt: Jedes Theater hat das Publikum, das es verdient. Ich halte nichts von einer Erziehung des Publikums, aber sehr viel von Verführung. In München ist diesbezüglich in den vergangenen 20, 30, 40 Jahren einiges passiert. Unsere Besucher haben viel gesehen und erlebt. Da geht es um einen Diskurs, nicht um Befriedigung von Klischees. Entscheidend ist dabei auch immer: Auf welchem Niveau findet der Diskurs, und sei es eine provokative Auseinandersetzung, statt?
In Österreich hört man oft: Die Bayerische Staatsoper hat es leichter, weil die finanzielle Ausstattung besser ist ...
Das Budget der Bayerischen Staatsoper liegt knapp unter jenem der Wiener Staatsoper. Das ist also kein Argument. Ich sage bewusst provokant, aber ganz ernsthaft: Alle haben genug Geld, um tolles Theater zu machen. Geld ist immer auch eine Frage der Fantasie, des Mutes. Ein grandioser Regisseur wie Dmitri Tcherniakov kostet vermutlich sogar weniger als ein konservativer Altmeister.
Ein Höhepunkt Ihrer neuen Saison dürfte "Manon Lescaut" mit Anna Netrebko und Jonas Kaufmann in der Inszenierung von Hans Neuenfels werden. Wie bringen Sie solche Stars dazu, mit einem radikalen Regisseur wie Neuenfels zu arbeiten?
Auch solche Stars sind offen für Neues und gelangweilt von den konzertanten Aufführungen in Kostüm und Maske, die man so oft sieht. Netrebko etwa hat in München "Macbeth" in der Regie von Martin Kušej gesehen und wollte dann von sich aus hier ihre erste Lady Macbeth singen. Das ist wohl unser Alleinstellungsmerkmal: In Brüssel, Frankfurt oder Stuttgart sieht man faszinierende szenische Zugänge, in Covent Garden oder an der MET hört man die besten Sänger – wir sind jedoch die einzigen, die versuchen, beides zu verbinden.
Und wie empfinden Sie die Situation in Wien?
Das kann ich nicht beurteilen. Man hört ja nichts aus der Wiener Staatsoper, sie ist im Ausland überhaupt kein Thema. Wenn man sagt: Da gibt es doch viele gute Sänger, antworte ich immer: Dafür braucht man keinen Direktor, sondern nur eine Agentur.
Aber Sie wissen, dass sich Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst wegen künstlerischer Differenzen von der Wiener Staatsoper zurückgezogen hat. Ihr Kommentar dazu?
Ich kann dazu nur sagen: Ein Opernhaus braucht einen Generalmusikdirektor als geistig-musikalisches Zentrum, als künstlerisches Herz. Wir haben in München mit Kirill Petrenko eine Idealgestalt mit künstlerischer Besessenheit und enormem Charisma. Er ist zweifellos der wichtigste Dirigent seiner Generation. Mit Welser-Möst sind wir gerade im Gespräch über einige Projekte.
Wer ist im Zweifelsfall der Chef?
Ein Theater von Substanz benötigt eine flache Hierarchie und keine einsamen Entscheidungen. Man muss im Team arbeiten. Ich brauche eigentlich auch keine Sitzungen, weil ich permanent mit allen im Gespräch bin. Wenn man einen Familienrat einberufen muss, ist es schon schwierig.
Sie waren zehn Jahre lang Chef des Wiener Burgtheaters, für das Kulturminister Josef Ostermayer in zwei Wochen einen neuen Direktor bestellen will. Wie empfinden Sie die zahlreichen Absagen von Kandidaten in letzter Zeit?
Ich glaube, die haben damit zu tun, dass das Haus tief verwundet ist. Das schreckt offenbar manche ab. Leider wird auch alles getan, damit diese Verwundung nicht aufhört, mit fahrlässigen persönlichen Egoismen. Ich hoffe sehr, dass es Karin Bergmann gelingt, weiter zum Heilungsprozess beizutragen.
Sie meinen mit fahrlässigen Egoismen wohl den Prozess, den Ex-Direktor Matthias Hartmann um seine Abfertigung führt?
Es geht nicht um Geld oder kein Geld, das jemand bekommt. Es geht um den Respekt und die Liebe zum Metier. Solche Kampagnen führt man nicht.
Die Auszeichnungen
Die Zeitschrift „Opernwelt“ lässt alljährlich von Kritikern aus Europa und den USA herausragende Ereignisse im Opernbereich wählen – es ist die wichtigste Umfrage in diesem Genre. Das einzige österreichische Haus, das bisher zum besten gewählt wurde, war 2001 die Grazer Oper. Heuer wurde erstmals die Bayerische Staatsoper München zum Haus des Jahres gewählt. Sie erhielt insgesamt fünf Preise.
Die Bayerische Staatsoper in München unter Leitung von Intendant Nikolaus Bachler ist Opernhaus des Jahres. Musikkritiker aus Europa und den USA wählten die Bühne zum ersten Mal auf Platz eins ihrer jährlichen Bestenliste. Maßgeblichen Anteil an dem Erfolg habe der neue Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, urteilten die von der Fachzeitschrift "Opernwelt" befragten Kritiker.
Von den 50 Kritikern stimmten acht für die Bayerische Staatsoper. Hervorgehoben wurden vor allem "das exzellente musikalische Niveau, die Breite und Qualität des Spielplans" sowie der Einsatz für "markante szenische Handschriften". Nominiert werden konnten Opernbühnen weltweit. Regisseur des Jahres ist der Italiener Romeo Castellucci. Er habe für die Wiener Festwochen und das Theatre de la Monnaie in Brüssel mit Glucks "Orpheus und Eurydike" die vielleicht radikalste Inszenierung der Spielzeit geschaffen, urteilten die Kritiker. Das Schicksal der in den Hades entrückten Eurydike hatte Castellucci mit der Live-Zuschaltung einer jungen Wachkoma-Patientin herausgearbeitet.
Michael Volle Sänger des Jahres

Die Münchner räumten nicht nur den Titel Oper des Jahres ab, sondern siegten auch in vier weiteren Kategorien. Der gebürtige Russe Petrenko wurde für seine Arbeit in München und sein Dirigat von Wagners "Der Ring des Nibelungen" in Bayreuth zum Dirigenten des Jahres gewählt, das Bayerische Staatsorchester zum besten Orchester.
Beste Nachwuchskünstlerin ist Hanna-Elisabeth Müller, die seit 2012 Mitglied des Münchner Ensembles ist. Zur Aufführung des Jahres wurde die Neuproduktion von Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten" an der Bayerischen Staatsoper gewählt - die musikalische Leitung hatte Petrenko, Regie führte Andreas Kriegenburg.
Der Chor des Jahres kommt vom Nationaltheater Mannheim, ebenso wie die Uraufführung des Jahres: Adriana Hölszkys Dostojewski-Oper "Böse Geister". Zum Bühnenbildner des Jahres wurde der Serbe Aleksandar Denic für seine Ausstattung von Frank Castorfs " Ring des Nibelungen" in Bayreuth gewählt. Kostümbildnerin des Jahres ist Gesine Völlm, die unter anderem die Roben für die "Meistersinger" bei den Salzburger Festspielen schuf.
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