Das mumok wagt Experimente mit dem Erbgut der modernen Kunst
Noch bis Oktober ist mumok-Direktorin Karola Kraus im Amt. Zu den Dingen, die man aus der bald 15-jährigen Leitungsperiode positiv in Erinnerung behalten darf, gehören Ausstellungen, die zeitgenössische Kunst auf produktive Art mit der Vergangenheit in Kontakt gebracht haben. Wobei diese Tugend auch aus der Not geboren wurde: Gerade in der sogenannten „Klassischen Moderne“ – grob gesagt der Kunst bis zum 2. Weltkrieg - war die hauseigene Kollektion, die maßgeblich vom Gründungsdirektor Werner Hofmann in den 1960ern aufgebaut wurde, stets Stückwerk geblieben und entwickelte nie die Strahlkraft, die anderswo für Blockbuster mit Monet bis Picasso sorgte.
Unter dem Titel „Die Welt von morgen wird eine weitere Gegenwart gewesen sein“ ist nun wieder eine anregende Kombination gelungen. Vier zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler – Barbara Kapusta, Lisl Ponger, Nikita Kadan und Frida Orupabo – treten dabei in einen Dialog mit Kunst der 1920er Jahre, die sich in den Sammlungen des Hauses findet.
Wiewohl theoretisch ausgeklügelt, erschließen sich die Klammern zwischen einst und jetzt auch direkt im Museumsraum gut – anhand von fragmentierten Körpern, fließenden Formen, Collagetechniken und surrealen Zusammenfügungen. Das führt zu der interessanten Frage, ob es auch in der modernen Kunst eine Art generationenübergreifendes Erbgut gibt, das in verschiedenen Generationen immer wieder hervortritt.
Mutanten? Roboter?
Im 3. Stock des mumok hat die Otto-Mauer-Preisträgerin Barbara Kapusta etwa fließend anmutende Aluminiumstatuen postiert, die sie „Technobodies“ nennt. Gesichts- und geschlechtslos, scheinen sie der metallischen, auf einem aerodynamisch geformten Sockel stehende Figur des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer von 1921 ebenso wenig fremd wie der zwischen Akt und Landschaft changierenden Masse, die George Grosz 1945 unter dem Titel „Dünen auf Cape Cod“ auf Leinwand bannte.
Dass der Abschied von eindeutig definierten Körperformen nicht erst in jüngster Zeit vollzogen wurde, zeigt sich auch im Geschoß darüber, wo Frida Orupabo in einen gewitzten Dialog mit Klassikern von Alberto Giacometti oder Constantin Brâncuşi tritt. Orupabos eigene Arbeiten bringen Körper – oft sind es jene schwarzer Frauen – in absurde, teils an Marionetten erinnernde Verrenkungen, mitsamt all den Assoziationen zu Fremdbestimmung und Machtausübung, die damit verbunden sind.
Im mumok geht die der norwegisch-nigerianischen Künstlerin gewidmete Sektion nahtlos in eine enorme 3-D-Collage von Anita Witek über: Die Österreicherin treibt das Zerschneiden und Rekombinieren, das in der Schau mit kubistischen Werken von Juan Gris (1919) und Fernand Leger (1937) sowie mit Papierarbeiten des Dadaisten Raoul Hausmann (1918-25) in der Historie verankert wird, über Mediengrenzen ins Feld der Skulptur, Fotografie und Installation hinaus.
Monument und Kriegsziel
Beim ukrainischen Künstler Nikita Kadan, der bereits 2019 eine Solo-Schau im Museum hatte, wird die modernistische Formensprache dann auf ihre politische Symbolkraft abgeklopft: Kadan arbeitet sich seit langem an sowjetischen Monumenten ab, die in seiner Heimat platziert wurden – und nun teils zur Zielscheibe russischer Angriffe werden. In Kadans Werk namens „Victory“ kristallisiert sich das im Modell eines - in der Realität nie umgesetzten - Denkmals heraus, das der Ukrainer Wassyl Jermylow einst der Sowjetrevolution setzen wollte. Auf der puristisch-weißen Konstrukt hat Kadan nun wie auf einem Regal eine zerschmolzene Tasse platziert, die nach einem Artillerieangriff im Donbass im Schutt gefunden wurde.
Fast alle der gezeigten Arbeiten haben solche doppelten, ja dreifachen Böden – nicht zuletzt bei Lisl Ponger, die sich seit langem mit der Faszination der Avantgarden für das Exotisch-Kolonialen befasst und mit ihrem Beitrag eigene Foto-Arrangements u. a. mit Werken deutscher Expressionisten und den ästhetischen Pflanzenfotos eines Karl Blossfeldt kombiniert. Vieles lässt sich noch in den Details entdecken - Die Art und Weise, wie sich die Moderne stetig fortpflanzt, sich widerspricht und aufspaltet, vermittelt die Schau aber in jedem Fall auf anspruchsvolle wie ansprechende Weise.
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