Das Kino sucht seine Zukunft

Ein älteres Paar sitzt in einem Flughafenfahrzeug und wird durch einen Gang gefahren.
Rückblicke und Ausblicke von Lindsay Lohan bis Judy Dench am Lido.

Kinosäle mit zerfetztem Mobiliar, ausgestorbene Eingangshallen, halb verwitterte Multiplex-Fassaden.

Die Eingangsbilder von Paul Schraders neuem Film „Canyons“ (außer Konkurrenz bei den 70. Filmfestspielen von Venedig) zeigen die Hinterlassenschaften des digitalen Wandels. Zwar hatten bewegte Bilder aus allen denkbaren technischen Quellen noch nie eine so große Bedeutung. Aber das Kino verliert in diesem Strukturwandel parallel seine Rolle als Hauptabspielform, sagt Schrader.

Seinen Film gab es noch vor der Premiere zum Download bei iTunes.

„Canyons“ wurde über Crowdfunding finanziert, am Ende kamen 150.000 Dollar zusammen, für eine Erzählung über Mittzwanziger in Los Angeles und ihre wenig einladenden Beziehungsformen. Hauptdarsteller sind Lindsay Lohan, chronischer Hollywood-Problemfall, und der Pornoakteur James Deen. Dass aus dieser Kombination ein amüsantes Projekt werden könnte, verhindert schon das unglaublich langweilige Drehbuch von Bret Easton-Ellis. „Wir wollten einen kalten, toten Film“, sagt er. Ist das die Zukunft des Kinos?

Vergangenheit

Future reloaded, „Neustart der Zukunft“, lautet das Motto der 70. Ausgabe von Venedig, doch die interessantesten Arbeiten blicken hier zurück, in die Untiefen der Seelen. Im besten Fall sind sie dabei so zurückhaltend, wirklichkeitsnah und konzentriert wie Kelly Reichardts „Night Moves“, in dem drei irregeleitete Ökoaktivisten einen Staudamm sprengen und damit selbst in einen immer alptraumhafteren Strudel geraten.

Psychoqualen

Eine Familie entspannt sich bei einem Picknick im Wald.
Philipp Groening: Die Frau des Polizisten
Ungleich metaphorischer ist die Nachtmahr von „Die Frau des Polizisten“ (Regie: Philip Gröning), ein Dreipersonenstück mit kleinem Kind, einem gewalttätigen Vater und einer bis zur Selbstaufgabe um Liebe ringenden Mutter. Komponiert ist der Film aus Miniaturen, die der Regisseur mit langen Zwischentiteln voneinander trennt, um den Zuschauern mehr Raum für eigene Interpretationen zu geben. Nicht das einzige Werk, in dem das Publikum den Psychoqualen der Hauptfiguren ausgesetzt wurde.

Der hyperaktive Schauspieler-Regisseur-Autor-Drehbuchautor-Künstler James Franco erzählt in „Child of God“ von einem schizoiden jungen Mann, der am Rande einer Kleinstadt seine wahnhafte Beziehungswelt mit Stofftieren und der Leiche einer jungen Frau zusammenbaut.

Die Wettbewerbsfilme in Venedig

Eine Frau mit Kopftuch lehnt auf einem Balkon über einem bunten Teppich.

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Ein Bergmann mit gelbem Helm und Stirnlampe blickt nachdenklich zur Seite.

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Eine Frau und ein Mann in Anzug stehen in einem Raum mit weißen Fliesen.

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Eine Frau führt eine Kamelkarawane durch eine trockene Landschaft.

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Zwei Frauen sitzen im Auto, eine telefoniert mit einem pinkfarbenen Handy.

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Ein junger Mann mit blonden Locken steht auf einem Feld und blickt zur Seite.

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Ein Mann in Sheriff-Uniform und Hut steht vor einem Auto.

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Eine ältere Frau betrachtet mit einem Mann im Anzug ein kleines Foto.

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Eine Familie sitzt an einem Tisch mit Speiseresten in einer Schwarzweißaufnahme.

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Drei Männer in Kostümen und ein älterer Mann beugen sich über einen Tisch mit Apparaturen.

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Eine Frau steht vor einem Gebäude, im Hintergrund sitzen Männer im Freien.

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Scarlett Johansson trägt einen Pelzmantel und schaut nach oben.

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Nicolas Cage steht mit einem Gewehr neben einem Jungen an einem Fluss.

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Ein Mann in Polizeiuniform mit einer Frau und einem kleinen Mädchen.

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Zac Efron in einem schmutzigen weißen Overall, möglicherweise am Set eines Films.

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Eine junge Frau malt ein Bild auf einer grünen Wiese unter einem Sonnenschirm.

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Donald Rumsfeld vor dem Logo des Pentagons.

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Drei Personen fahren mit einem Motorboot auf einem See entlang bewaldeter Ufer.

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Eine Rennstrecke für Modellautos unter einer Autobahnbrücke.

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Eine Familie mit Regenmänteln geht nachts auf einer nassen Straße entlang.

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Szenenapplaus

Kein Wunder, dass inmitten dieser Abstiegsgeschichten Stephen Frears „Philomena“ beim Pressescreening enthusiastischen Szenenapplaus provozierte. Steve Coogan (auch Coautor) in der Rolle eines Journalisten, der einen Neustart braucht, trifft darin auf Judy Dench, die 50 Jahre, nachdem irische Nonnen ihr das Kind geraubt haben, den verlorenen Sohn sucht.

„Wir wollten ihre Geschichte erzählen, ohne die Komplexität zu reduzieren“, bilanzierte Dench. „Ich würde mir wünschen, dass der Papst das sieht. Der hat noch Einfluss auf solche Institutionen“, ergänzte Frears in der Pressekonferenz.

Das passte zum Werk, das Humor und Melodram miteinander ausbalanciert, und zugleich die Kalküle thematisiert, die „Human Interest“-Geschichten (wie diesen Film) begleiten. Solange das klassische Kino noch so klar über sich selbst nachdenken kann, hat es auch eine Zukunft.

Waltz

Am morgigen Montag ist heurige Venedig-Premiere für den österreichischen Oscarpreisträger Christoph Waltz: Er steht mit Terry Gilliams SF-Western-Virtual-Reality-Groteske „The Zero Theorem“ im Wettbewerb.

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