"Das dreißigste Jahr": Mit etwas Glitzerstaub erwachsen werden

"Das dreißigste Jahr": Mit etwas Glitzerstaub erwachsen werden
Das Max Reinhardt Seminar setzte Ingeborg Bachmanns Erzählung um - hinreißend artikuliert, klar bebildert

In den 1950er-Jahren berühmt geworden mit Gedichten und Hörspielen, veröffentlichte Ingeborg Bachmann 1961 ihren ersten Prosaband. Die Schriftstellerin verarbeitete die Nachkriegszeit („Unter Mördern und Irren“) und traf mit der titelgebenden Erzählung „Das dreißigste Jahr“ den Zeitgeist ihrer Generation, die nach einer Jugend im Dritten Reich unbeschwert leben wollte.

Bachmanns Protagonist muss an seinem 29. Geburtstag aber feststellen, nicht mehr ganz so jung zu sein. Er durchlebt in den folgenden zwölf Monaten eine Identitätskrise, immerzu auf der Flucht vor sich und der Verantwortung. Dass die Erzählung auch heute den Nerv trifft, stellten Studierende des Max Reinhardt Seminars im Schlosstheater Schönbrunn unter Beweis.

Florian Thiel lässt den Text von seinem zehnköpfigen Ensemble überdeutlich sprechen. Allein schon die Artikulation ist ein Genuss. Diverse Begebenheiten ergänzt der Regisseur mit kleinen, feinen Interaktionen im schwarzen Bühnenraum, das Baden im Meer illustriert Anna Slavicek als heitere Choreografie, der Soundtrack (David Lipp) und die Alltagskleidung (Alina Rosalie Amman) verorten das Geschehen ganz in der Gegenwart.

"Das dreißigste Jahr": Mit etwas Glitzerstaub erwachsen werden

„Aber ich lebe ja.  Ich lebe!“: Niko Dorigatti als Bachmanns Protagonist, der eine Identitätskrise überwindet

Aus der Gruppe junger Menschen treten im Laufe der 75 Minuten einzelne hervor, darunter Roberto Romeo und Niko Dorigatti, die den Protagonisten verkörpern, oder Julius Dörner und Flo Sohn als Gegenspieler Moll. Mit der Zeit darf sich Alexandra Schmidt als Ingeborg Bachmann in den Vordergrund spielen. Und immer wieder wird Glitzerstaub in die Luft geworfen. Die Erzählung endet schließlich lebensbejahend mit dem Appell: „Steh auf und geh! Es ist dir kein Knochen gebrochen.“

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