Concentus Musicus: Immer die neue Farbe, nicht die alten Töpfe

In knapp einem Monat wird es zehn Jahre her sein, dass der große Dirigent und Forscher Nikolaus Harnoncourt den Musikerinnen und Musikern des von ihm gegründeten Concentus Musicus in einem offenen Brief seinen Rückzug vom Dirigentenpult mitteilte. Einige Monate später, am 5. März 2016, starb er im Alter von 86 Jahren.
Vor zehn Jahren also stand der Concentus Musicus, der mit der Interpretation (nicht nur) Alter Musik auf historischen Instrumenten Musikgeschichte geschrieben und die Aufführungspraxis revolutioniert hatte, vor der Frage: aufhören oder mit einem anderen Dirigenten weitermachen?
„Das wurde damals dem Orchester überlassen, mit Unterstützung der Großmama (Alice Harnoncourt, Concentus-Konzertmeisterin und Ehefrau des Dirigenten, verstorben 2022, Anm.). Aber im Prinzip war es eine rhetorische Frage, und die Antwort war klar“, sagt Maximilian Harnoncourt, Enkel des Musikers und heute Manager des Concentus.

Rasch war klar, wer fortan übernehmen musste: der Pianist, Cembalist und Dirigent Stefan Gottfried, gemeinsam mit den Konzertmeistern Erich Höbarth und Andrea Bischof. Zunächst standen noch unterschiedliche Kapellmeister am Pult, bald jedoch übernahm Gottfried die alleinige dirigentische Leitung.
„Das erste Konzert, bei dem ich eingesprungen bin, war im Dezember 2015 im Musikverein. Im Jänner 2016 gab es dann die ,Leonore‘-Urfassung von Beethoven im Theater an der Wien“, erzählt Gottfried im KURIER-Gespräch. „Damals schickte Harnoncourt noch eine Videobotschaft an das Orchester. Er hat mich immer ermutigt, mit meiner eigenen Persönlichkeit zu dirigieren und etwas Authentisches zu machen.“
Beim großen Lehrmeister
Einige Jahre war Gottfried musikalischer Assistent von Harnoncourt, etwa 2008 bei einer „Rake’s Progress“-Produktion im Theater an der Wien oder 2012 bei der „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen. Was hat man als Assistent eines derart großen Dirigenten, der so konkrete Vorstellungen hatte, eigentlich zu tun? „Ich musste etwa bei den szenischen Proben aufpassen, dass es musikalisch nicht verwässert, zum Beispiel bei den Rezitativen. Diese gehören ja eigentlich dem Regisseur, dennoch muss die Sensibilität für die Musik gewährleistet sein. Ich habe ganz viel lernen dürfen und bin langsam hineingewachsen.“
Dass Gottfried die enorme Herausforderung nach Harnoncourt annehmen würde, war logisch und von Harnoncourt auch so intendiert. „Ich nenne das eine ,Pflichtchance‘, die ich ergreifen musste.“
Was konkret hat Gottfried von Harnoncourt gelernt? „Auf alle Fälle die Rhetorik in der Musik, also das sprechende Musizieren. Auch die Gestaltung von Pausen. Und natürlich das Quellenstudium.“ Und wahrscheinlich hundert andere Dinge auch. Nehmt immer die neue Farbe, nicht die alten Farbtöpfe, hat er ihm immer gesagt.
Im Großen Saal
Leicht hat man es Gottfried von Seiten der Veranstalter zu Beginn nicht gemacht. So wurde der Concentus-Zyklus im Musikverein vom Großen in den Brahmssaal verschoben, aus Angst, das Publikum könnte ausbleiben. „Aber wir haben uns den Großen Saal zurückerobert“, freut sich Gottfried, dass der Zyklus wieder so gefragt ist. Am 5. März, dem Todestag von Harnoncourt, wird ebendort das „Deutsche Requiem“ von Brahms aufgeführt.
Ein aktuelles Lieblingsprojekt des Concentus ist ein Zyklus im Casino Zögernitz in Wien-Döbling, der am 27. Oktober (19 Uhr) mit „Barocken Meisterwerken aus (Alt-)Österreich“, darunter Werke von Johann Heinrich Schmelzer, fortgesetzt wird. Warum im Casino Zögernitz? „Das ist für uns ein Zurück zum Ursprung“, sagt Gottfried. Zunächst deshalb, weil dort in der Urbesetzung des Orchesters, also mit zwölf bis 15 Musikern, ein Repertoire zwischen Kammermusik und großer Symphonie gespielt werden kann. Und vor allem auch wegen der Geschichte des 1837 errichteten ehemaligen Tanzsaales für Johann Strauss jun., in dem legendäre Aufnahmen des Concentus entstanden. Die erste Platte des Orchesters, die dort von Harnoncourt aufgenommen wurde, enthielt 1966 Telemanns Flötenmusik. Aber auch Monteverdis „Orfeo“, Bachs h-Moll-Messe (jeweils 1968), die Gesamtaufnahme der Bach-Kantaten und vieles mehr entstanden dort.
Für die künftigen Projekte im Casino Zögernitz versprechen Gottfried und Maximilian Harnoncourt „richtig coole Musik“, unter anderem am 26. November, für den der Bassbariton Florian Boesch eine „carte blanche“ hat.
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