Filmkritik zu "Tully": Warte, bis es dunkel ist

Charlize Theron (re.) engagiert als überforderte Mutter Mackenzie Davis als Nacht-Nanny: „Tully“
Charlize Theron als überforderte Mutter zwischen Nacht-Nanny und Tiefkühlpizza.

Zuerst kommt der Bauch, dann der Rest der Frau. Die ist so schwanger, dass sie aussieht, als würde sie kurz vor der Explosion stehen.

Jede ihrer Bewegungen ist schwerfällig, ihr Lächeln müde, ihre Augen glanzlos. Make-up trägt sie schon lange keines mehr im Gesicht. Zwei Kinder hat sie schon, das erwartete Baby wird ihre Bürde nicht erleichtern.

Charlize Theron als schwangere Marlo trägt das Kreuz der überforderten Mutterschaft mit Mut zur „Hässlichkeit“ (immer relativ gesehen, versteht sich): ungeschminkt und mit einigen Kilos zu viel auf der Rippe. Dass sie sich als Schauspielerin der A-Klasse traut, gegen das herrschende Schönheitsgebot der Unterhaltungsindustrie zu verstoßen, hat sie bereits vor fünfzehn Jahren in „Monster“ bewiesen; damals tauchte sie tief in die schlampige Physiognomie einer Unterschichtsprostituierten ein.

Dieser Hauch von Realismus umschwebt Theron auch im routinierten Tragikomödien-Genre-Kino von Jason Reitman: Auch wenn Reitman von einer postnatalen Depression erzählt – ganz so schlimm wird es bei ihm nie. Immer wieder hellt eine witzige Bemerkung oder ein lakonischer Kommentar („Wie heißt der Hund?“ – „Prosecco!“) die häusliche Tristesse auf.

Marlo lebt also mit Mann und Kindern in einem überfüllten Haus im grünen Vorort und zittert nach der Geburt des dritten Kindes einer postnatalen Depression entgegen. Ihr reicher Bruder macht ihr ein Angebot: Er gibt ihr die Telefonnummer einer Nacht-Nanny und bietet an, für deren Dienste zu zahlen. Diese kommt abends ins Haus und versorgt das Neugeborene, damit die Eltern ausschlafen können.

Marlo ist zuerst strickt dagegen, doch das brüllende Neugeborene macht ihr hart zu schaffen. Reitman mit seinem Hang zur gefälligen Überdeutlichkeit steigert die nächtlichen Strapazen des endlosen Windelwechselns zu einem Bilderstakkato, das in der totalen Erschöpfung endet. Die Botschaft ist klar: Mutter braucht Hilfe.

Die Nacht-Nanny – sie heißt Tully – wird schließlich engagiert.

Mit links

Tully erweist sich als junge, schlanke, schöne Frau, die mit links in der Nacht schafft, was Marlo den ganzen Tag über nicht zusammen bringt – vom Wohnung putzen bis zum Cup Cakes backen. Tully ist fast schon zu gut, um wahr zu sein, zumal sich die beiden Frauen auch noch blendend verstehen, und Reitman kalkuliert ins weibliche Buddy-Movie einschwenken kann.

Theron und ihre Nachtfreundin – Mackenzie Davis als Tully – spielen hervorragend, innig und durchgehend unterhaltsam. Keine Minute möchte man mit ihnen missen. Leichtfüßig täuschen sie über jene (Gender-)Klischees hinweg, die „Tully“ die längste Zeit unhinterfragt zugrunde liegen. Hausarbeit und Kindererziehung sind klare Frauensache, während der nette, arbeitende Mann die Augenbraue hebt, wenn es nur Tiefkühlpizza zum Abendessen gibt. Danach belohnt er sich im Bett mit einem Videospiel.

Allerdings lässt sich „Tully“ davon nicht die Laune vermiesen, dafür sorgt schon Charlize Theron: In ihrer Nähe hält man sich einfach so gerne auf, egal ob sie schwanger ist, oder ungeschminkt oder einfach nur überfordert.

INFO: USA 2018. 95 Min. Von Jason Reitman. Mit Charlize Theron, Mackenzie Davis, Mark Duplass.

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