In „Tár“ begeistert Cate Blanchett als fiktive, lesbische Musikerin namens Lydia Tár, die als Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters in Berlin selbstbewusst ihre Macht einsetzt. Nach und nach mehren sich Vorwürfe von (sexuellem) Machtmissbrauch und stürzen Lydia Tár in eine tiefe Krise.
Seit seiner Welt-Premiere in Venedig wurde „Tár“ kontrovers diskutiert. Für seine formale und schauspielerische Leistung hochgepriesen und sechsfach für einen Oscar nominiert, stieß die Entscheidung, ausgerechnet eine Frau zur Täterin in einem toxischen Arbeitsumfeld zu machen, auf Kritik. Umso mehr, als im Klassikbereich vorwiegend Männer die höchsten Positionen besetzen; die lesbische Chefdirigentin des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien, Marin Alsop, fühlte sich ganz besonders vor den Kopf gestoßen.
„Dazu muss man sagen, dass bislang noch keine Frau als Chefdirigentin ein großes, deutsches Orchester anführte. Insofern hat die Geschichte etwas Märchenhaftes“, sagt Todd Field im KURIER-Interview: „Ich wollte die Struktur der Macht erforschen. Leider stehen wir vor einer langen Geschichte von Männern, die ihre Macht missbraucht haben. Wir kennen das und wissen, wie wir darauf zu reagieren haben. Nachdem diesmal aber eine Frau diese Rolle einnimmt, erlaubt das vielleicht einen frischen Blick auf das Phänomen der Macht.“
Cate Blanchett ist ebenfalls überzeugt, dass die überraschende Konstellation in „Tár“ eine nuanciertere Lesart zulässt, als wenn man zum wiederholten Mal einen Mann in Täterposition sehen würde. Dem Vorwurf, eine Frau als schlechtes Beispiel vorzuführen, sei misogyn, kann sie nichts abgewinnen: „Als ich in der Filmindustrie begonnen habe, war die Bandbreite an Frauenrollen sehr eng. Das spürt man auch heute noch: Wenn eine Frau als Hauptfigur eine Geschichte anführt, steht immer noch die unausgesprochene Erwartung im Raum, dass sie besonders vorbildlich oder nobel oder pädagogisch wertvoll handeln muss. Aber Frauen machen genauso Fehler – und darin liegt auch das Drama. Shakespeares ,Macbeth‘ würde ohne Lady Macbeth nie funktionieren. Und man erinnert sich deswegen an sie, weil sie so eine machtvolle und komplexe Figur ist. Ich denke in Bezug auf Lydia Tár nicht in erster Linie an ihr Geschlecht, obwohl es natürlich ein wichtiges Thema ist. Aber gerade, weil sie so kompliziert ist und man als Publikum nicht weiß, wie man sie einschätzen soll, wird der Film hoffentlich aufregend.“
Die zweifache Oscarpreisträgerin, die auch für „Tár“ nominiert ist, tigerte sich mit unglaublichem Aufwand in die Rolle der Dirigentin hinein. Nicht nur lernte sie Deutsch, sondern studierte ein Jahr lang akribisch verschiedene Stile des Dirigats: „Es war faszinierend, Dirigenten zu beobachten. Es ist beispielsweise ein Unterschied, ob man Proben oder Aufführungen dirigiert, wo eine ganz andere Energie fließt. Unser Film ist ein Proben-Film, insofern war diese Differenzierung wichtig.“
Dass Lydia Tár am Ende nicht mehr Mahler, sondern die Musik des Videospiels „Monster Hunter“ dirigiert, sieht Todd Field nicht notwendigerweise als monumentalen Absturz: „Viele große Komponisten des 20. Jahrhunderts, wie Max Steiner oder Erich Wolfgang Korngold, die teilweise von den Faschisten vertrieben wurden, schrieben Filmmusik für Hollywood und wurden deswegen aus dem Klassik-Kanon verstoßen. Später hat niemand mehr verstanden, warum.“
Zentrales Musikstück in „Tár“ ist jedoch die „5. Sinfonie“ von Gustav Mahler: „Meine absolute Lieblingssinfonie“, seufzt Todd Field: „Ursprünglich habe ich mich nicht getraut, sie zu verwenden, weil sie so meisterlich von Luchino Visconti in ,Tod in Venedig‘ eingesetzt wurde. Aber dann ließ ich mich überzeugen: Die Musik passt einfach perfekt in meinen Film.“
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