Wes Anderson in Cannes: Action, Thriller, Auftragskiller

In einem Flugzeug sitzen ein Mann, der ein Buch liest, und eine Nonne mit einem Rosenkranz.
Die Nasser-Zwillinge liefern einen Polizei-Krimi aus Gaza, Wes Anderson lässt Benicio del Toro mit dem Flugzeug abstürzen und Kleber Mendonça Filho erinnert sich an die Diktatur in Brasilien.

Nicht nur Märchen fangen mit dem Satz „Es war einmal“ an, auch berühmte Filme der Filmgeschichte: „Es war einmal in Amerika“ nannte Western-Regisseur Sergio Leone sein letztes Gangster-Epos, „Es war einmal in Hollywood“ Quentin Tarantino sein Komödien-Drama mit Brad Pitt.

„Es war einmal in Gaza“ nennen Arab und Tarzan Nasser ihren neuen Action-Krimi, dessen Titel im Programm von Cannes sofort aufhorchen lässt. Als die beiden bärtigen, langhaarigen Zwillingsbrüder – geboren 1988 in Gaza – ganz in Schwarz vor der Premiere ihres Films die Bühne erklimmen, sehen sie selbst so aus, als kämen sie direkt aus einem Actionfilm. Den derzeitigen Krieg in Gaza bezeichneten sie in ihrer Einleitungsrede als „Schande für die Menschheit“, ihr Film aber entstand längst vor Ausbruch des Konflikts.

Die Regisseure Tarzan und Arab Nasser beim Photocall für „Once Upon a Time in Gaza“ bei den Filmfestspielen in Cannes.

Die Zwillingsregisseure Arab und Tarzan Nasser in Cannes mit ihrem Film "Es war einmal in Gaza"

„Es war einmal in Gaza“ erzählt die Geschichte eines Studenten namens Yahya, der in Gaza von 2007 die Freundschaft mit einem Restaurantbesitzer namens Osama pflegt. Im Nebenjob ist Osama Drogendealer und vertickt Schmerztabletten, die er in Falafel-Sandwiches ausliefert. Dadurch gerät er ins Visier eines ehrgeizigen Polizisten und verliert sein Leben.

Zwei Jahre später wird der trauernde Yahya für die Hauptrolle eines Filmprojekts gecastet, dem „ersten Action-Movie in Gaza“. Im Zuge der Dreharbeiten trifft er auf den Cop, der seinen Freund getötet hat, und sinnt auf Rache.

Die Nasser-Brüder sind darum bemüht, die Genre-Regeln des Polizeithrillers einzuhalten, zugleich aber auch ein möglichst akkurates Bild vom eingeschränkten Leben der Menschen in Gaza zu zeichnen. Insofern besticht ihr Krimi weniger durch seine etwas bescheidenen Actionelemente als vielmehr durch die Eindrücke von Alltagsrealität – etwa sinnlose Amtswege –, die er mitliefert. Am Ende erlauben sich die Nassers noch einen ironischen Twist, wenn ihr Held zwar „nur“ einen banalen Unfalltod stirbt, aber öffentlich als Märtyrer gefeiert wird.

„Na ja“, sagt der Filmkritikerkollege am Nebensitz nach der Premiere: „Etwas Neues über den Gaza-Konflikt habe ich jetzt nicht erfahren. Aber vielleicht bin ich voreingenommen. Ich bin Israeli.“

Sturz ins Kornfeld

Wer einmal einen Film von Wes Anderson gesehen hat, erkennt seinen Stil unschwer wieder. Auch „Der phönizische Meisterstreich“ (Kinostart: 29. Mai) im Wettbewerb von Cannes ist ein typischer Anderson – mit symmetrischen Bilder, zu gewitzten Tableaus arrangiert und mit lakonischem Humor versiegelt. Ebenfalls signifikant die übliche Star-Besetzung: Umwerfend diesmal Benicio del Toro in der Hauptrolle als windiger Großindustrieller namens Zsa-Zsa Korda, der eine Meisterschaft darin erlangt hat, Attentate zu überleben. Gleich in der ersten Szene stürzt er 1950 mit dem Flugzeug in ein Kornfeld – und steht wieder auf. Doch diese Episode gibt ihm zu denken. Er ruft seine Tochter zu sich, eine Nonne namens Liesl (patent: Mia Threapleton, Tochter von Kate Winslet). Sie soll sein Erbe antreten und mit ihm einen Coup – den phönizischen Meisterstreich – ausführen.

Wie auch schon zuletzt in „Asteroid City“, kehrt Anderson zurück in die 50er-Jahre, diesmal allerdings ins Spionage-Genre. Mit der für ihn typischen Komik führt er seine Akteure in die kompromittierendsten Situationen, wo sie allerdings mit keiner Wimper zucken. Doch so witzig die Begegnungen mit Zsa-Zsa und seinen Geschäftspartner auch ablaufen, so klar bleibt auch, dass es sich durchwegs um Schurken und Ganoven handelt, verantwortlich für Kriege und Hungersnöte. Insofern schwebt über Anderson feinfühliger Spionage-Satire ein Schleier der Melancholie, der am Ende von der Nonne zerrissen wird. Eigentlich sei sie gar nicht so gläubig, gesteht Liesl, doch im Zweifelsfall frage sie sich: „Was würde Gott tun?“ Und die Antwort darauf liege eigentlich immer auf der Hand.

Ein Mann lehnt an einer Säule neben einem gelben Auto vor einer ländlichen Szene.

Wagner Moura in Kleber Mendonça Filhos superbem Thriller "The Secret Agent"

Karneval

Von Schurken und Ganoven handelt auch der exzellente, im Stil der Siebzigerjahre gedrehte Thriller „The Secret Agent“ von dem Brasilianer Kleber Mendonça Filho. Er katapultiert uns zurück in die brasilianische Militärdiktatur des Jahres 1977, wo unliebsame Menschen – besonders während des Karnevals – einfach „verschwinden“. In der brasilianische Stadt Recife besucht Marcelo – gespielt von dem charismatischen Wagner Moura (bekannt aus der Serie „Narcos“) – seinen Sohn. Was er nicht weiß: Ein skrupelloser Geschäftsmann hat ihm zwei Auftragskiller an den Hals gehetzt. Langsam zieht Mendonça das Netz immer enger und liefert am Ende nicht nur einen fesselnden Thriller, sondern auch die Erinnerung an eine Diktatur, die in Vergessenheit zu geraten droht.

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