Cannes: Lars von Trier provoziert mit Leichen im Kühlhaus

Uma Thurman ist das erste Opfer von Matt Dillon: "The House That Jack Built"
Lars von Trier provoziert mit brutalem Serienmörder-Epos mit Matt Dillon in der Hauptrolle: "The House That Jack Built".

Als Lars von Trier in Cannes bei der Premiere seines eigenen Filmes erschien, wurde er mit minutenlangen Standing Ovations begrüßt. Gerade so, als wollte das Publikum sagen: „Willkommen zurück. Wir haben dir verziehen.“

Sieben Jahre ist es her, seit der dänische Provokationsregisseur auf den Filmfestspielen in Cannes zur „persona non grata“ erklärt worden war; nach der Premiere seines Filmes „Melancholia“ im Jahr 2011 hatte er sich während einer Pressekonferenz zu missglückten Nazi-Scherzen verstiegen. Der einstige Cannes-Gewinner, der 2000 für sein Björk-Melodram „Dancer in the Dark“ die Goldene Palme gewonnen hatte, bekam Hausverbot. Ganz ungetrübt verlief die diesjährige Rückkehr des verlorenen Sohnes an die Croisette allerdings nicht: Während der Publikumsvorführung von „The House That Jack Built“ verließen an die hundert Besucher den Kinosaal, viele davon wutschnaubend und angeekelt.

Man konnte natürlich im Voraus ahnen, dass die Geschichte eines Serienkillers unter der Regie eines Lars von Trier kein jugendfreier Spaziergang werden würde; aber die Erschießung von Kindern und die Verstümmelung eines (lebendigen) Frauenkörpers war manchen dann doch zu viel.

„The House That Jack Built“ ist gleichermaßen faszinierend und abstoßend, smart und dämlich, unterschwellig komisch und vordergründig provokativ. Inszenatorische Brillanz wechselt ab mit Tendenz zur moralischen Überheblichkeit, sardonischer Humor mit erzählerischen Durchhängern.

Leichenberge

Was ist Kunst?, lautet eine zentrale Frage, die Lars von Triers 155 Minuten langes Serienmörder-Pamphlet vorantreibt: die Musik von Glenn Gould, Mechanik und Präzision, erhabene Architektur, Gemäldemalerei; doch auch die Faschisten haben nach dem perfekten Kunstwerk gesucht und Unmengen von Leichenbergen produziert.

Lars von Trier schöpft für seine Reflexionen über das perfekte Kunstwerk, Krieg und Zerstörung aus einer Bildersuppe, die auch eigene Filme mit verarbeitet: Die Abrechnung mit dem eigenen Werk, der Lust an (psychologischen) Abgründen und dem beinahe schon zwanghaften Wunsch nach Provokation martern den Regisseur – und seine Hauptfigur.

Matt Dillon spielt mit leicht aufgerissenen Augen und übergroßer Brille einen pseudo-intellektuellen Psychopathen, der auf der Suche nach dem perfekten Kunstwerk Anfang der 70er-Jahre bizarre Morde verübt. Anfänglich leidet er unter dem schönen Begriff „Ordnungszwang“, der ihn nötigt, manisch den Tatort zu säubern, und den er genussreich als deutsches Wort in seine Bekenntnisse einfließen lässt. Ähnlich wie in „Nymphomaniac“ entfaltet sich „Jack“ in Rückblenden im Zuge eines Geständnisses, das der Mörder gegenüber einem anderen Mann (der sich als Bruno Ganz entpuppt) ablegt.

Schaurig

Verfolgt von einer stark bewegten Handkamera, sucht Jack auf seinen Reisen durch amerikanische Waldlandschaften passenden Opfer. Nach vollbrachter Tat stapelt er die Leichen in einem Walk-In-Kühlhaus und drapiert sie anschließend zu schaurigen Tableaus.

Zuerst begegnet er Uma Thurman, die eine elegante, aber sehr nervige Lady spielt, deren Gequatsche praktisch nur mit Totschlag beendet werden kann. Auch das nächste Opfer ist weiblich: „Frauen sind kooperativer“, bemerkt Jack fröhlich aus dem Off – und nicht ohne selbstparodistische Absicht stammen diese Worte aus der Feder eines Regisseurs, dessen Zusammenarbeit mit Schauspielerinnen zumindest als „intensiv“ bekannt ist.

„Immer heißt es, die Männer sind an allem Schuld, das ist so ungerecht“, lamentiert Jack, während er selbst die Axt schwingt. Die Idiotie dieser Aussage liegt ebenso auf der Hand, wie es wohl kein Zufall ist, dass sich Jack eine rote Donald-Trump-Mütze aufsetzt, ehe er seine Familie über den Haufen schießt. Abgefahrener Humor, Stinkefinger in alle Richtungen, Genialität und Blödheit liegen dicht beieinander in Lars von Triers – trotzdem durchwegs sehenswerter – Höllenfahrt.

Übrigens: Pressekonferenz mit Lars von Trier gab es heuer keine in Cannes.

 

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