Burgtheater: Es ist immer Winter

Burgtheater: Es ist immer Winter
Kritik: „Drei Winter“ erzählt in der Regie von Martin Kušej das Schicksal einer Familie und kroatische Zeitgeschichte

Die Inszenierung beginnt mit aktuellen Bildern vom Winter 2023 und dem Krieg in der Ukraine. Regisseur und Hausherr Martin  Kušej stellt damit klar: Es ist nicht vorbei. Auch heute gibt es in Europa wieder Krieg.

Tena Štivičićs Stück „Drei Winter“ erzählt kroatische Geschichte anhand einer Familiensaga. Die Handlung spielt 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, 1990, am Vorabend des Jugoslawienkriegs, und 2011, vor dem Beitritt Kroatiens zur EU
Die Geschichte dreht sich um ein Haus in Zagreb und spielt immer im selben Wohnzimmer. Annette Murschetz hat dafür auf der Drehbühne drei identische Räume  mit hohen Wänden entworfen, die sich kaum unterscheiden. 1945 ist der Boden mit Scherben bedeckt, 1990 mit dürrem Gras, 2011 ist bescheidener Wohlstand eingekehrt.

Partisanen

Die Handlung setzt 1945 ein. Titos kommunistische Partisanen haben die Nazis besiegt. Die junge Partisanin  Ruža bezieht mit ihrem kriegsversehrten Mann, ihrem Baby und ihrer Mutter eine Wohnung, die ihr von der Partei zugeteilt wurde (sie durfte sich einen Schlüssel aussuchen).

Doch das Haus ist nicht leer – die Tochter des ehemaligen Hausherrn, eines Nazi-Kollaborateurs, weigert sich, auszuziehen.

1990 sehen wir die Familie nach dem Tod Ružas. Mascha lebt mit ihrem Mann und ihren Töchtern immer noch in der Wohnung. Im Fernsehen verfolgt man den Anfang vom Ende Jugoslawiens. Und plötzlich sorgt der aufkeimende Nationalismus auch für Streit in der Familie.

2011 feiert man in der Wohnung ein Familienfest. Ružas Enkelin Lucija wird am kommenden Tag den wohlhabenden Unternehmer Damjan heiraten, der das Haus kaufen will, was Lucjas unangepasster Schwester Alisa gar nicht gefällt. Der Kapitalismus hat gesiegt, und in der Familie brechen alte Wunden auf.

Tena Štivičićs  Stück verwebt gekonnt Privates und Politisches. Oft wird gar nichts Bedeutsames gesagt, trotzdem kann man hinter jedem Satz eine ganze Geschichte spüren. Es ist das Ungesagte, das diesen Text antreibt.

Entschleunigt

Die Szenen wechseln rasch, sie werden mithilfe der Drehbühne und projizierten Bildern vom Krieg getrennt. Die Hastigkeit der Handlung steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zu Martin  Kušejs entschleunigter Regie. In der Tat wird hier so langsam gespielt, dass vor allem vor der Pause die Langeweile manchmal ihr hässliches Gesicht zeigt. Mit dreieinhalb Bruttostunden ist der Abend auch deutlich zu lang geraten. Nach der Pause, wenn die Geschichte klarer wird, bekommt die Handlung mehr Tempo.

Das Burgtheater-Ensemble zeigt wie immer eine großartige Leistung. Nina Siewert  ist als starke, um ihr Schicksal kämpfende Ruža ebenso beeindruckend  wie als ihre widerspenstige Enkelin  Alisa. Andrea Wenzl hat als ihre Schwester Lucija, die stur an den Fortschritt glauben will, ebenfalls starke Momente. Ebenfalls großartig: Sylvie Rohrer und Regina Fritsch. Auch Tilman Tuppy als Kriegsversehrter berührt.

Am Ende gibt es großen Jubel für Darsteller, Regie und Autorin. Zu erleben ist ein hoch interessanter, manchmal ein wenig verbremster Theaterabend.

 

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