Schöner Schauen: Ausgewählte Bildbände

Zwei Frauen sitzen unter Trockenhauben in einem Friseursalon.
Starke Frauen, Stars und neue Blicke auf Stadt und Land: Eine Auswahl von Werken, die hervorragende Bilder zwischen zwei Buchdeckel bannen.

So manche Propheten, die nach dem Gipfelselfie mit dem Tablet vom Berg herabgestiegen kommen, meinen es besser zu wissen – doch in Wirklichkeit ist das Digitalzeitalter keine schlechte Epoche für gedruckte Medien. Denn das Digitale gebiert fast automatisch den Wunsch nach physischen Dingen, und diese wollen dann auch in einer möglichst ansprechenden Weise gestaltet sein.

Die Bildbände, die 2023 nicht nur als Begleitpublikationen zu bestimmten Ausstellungen oder Events, sondern als eigenständige Medien aus der Menge hervorstachen, sind oft Destillate aus jahrelang andauernden Projekten, denen ein bestimmtes Konzept zugrunde liegt, Lebenswerke gar. Sie sind aber auch Reaktionen auf die Bildwelt, die uns tagtäglich umgibt, und schlicht schöne Objekte. Auch wenn Fotobücher nicht billig sind, gehören sie doch zu den günstigeren Möglichkeiten, ein Stück echte Kunst mit nach Hause zu nehmen.

Eine Frau macht ein Foto von einem Flugzeug, während eine andere Frau daneben steht.

Ruth Orkin, El Al Airline Stewardess, Tel Aviv, Israel, 1951

Bilder von Frauen, die ihren Weg gehen

Ruth Orkin war ihrer Zeit voraus. Als eine der wenigen Straßenfotografinnen der 1940er- und 50er-Jahre widersetzte sie sich dem gesellschaftlich erwarteten Frauenbild dieser Ära. Sie hat mit ihren Bildern das „Catcalling“ vorweggenommen und kritisiert: Ihre Aufnahme „American Girl in Italy“ (1951) – die Straßenszene mit den pfeifenden Italienern – ist weltweit bekannt.  Die US-Amerikanerin war dann auch eine der ersten Frauen, die sich in einer männergeprägten Disziplin behaupten konnte. Das soeben veröffentlichte Buch "Women" (Hatje Cantz, 40 €) legt den Schwerpunkt auf Orkins Farbfotos von Frauen aus  unterschiedlichen sozialen Verhältnissen, die  eines gemeinsam  haben: Sie alle strahlen Unabhängigkeit (vom Mann) aus.  

Lauren Bacall telefoniert auf einem roten Sofa.

Ein hipper Wien-Band mit schlechter Onlinewertung

Wer heute eine Stadt bereist, sieht  zuvor nicht nur Tourismusbroschüren und Imagevideos, sondern auch Bewertungen auf  Onlineplattformen,  zufällige Assoziationen von Suchmaschinen-Algorithmen und nicht zuletzt die eigenen Wunschvorstellungen. Die Fotokünstlerin Stefanie Moshammer beschloss, all das und noch mehr mitzudenken, als sie vom Luxuskonzern Louis Vuitton den Auftrag erhielt, einen Beitrag für dessen City-Bildbandserie zu gestalten. 

Die Nahaufnahme einer Statue, deren Gesicht teilweise mit einem blauen Himmel übermalt ist.

Wien, aber anders:  Stefanie Moshammers „Fashion Eye Vienna“ 

Das Resultat (online zu bestellen, 55 €) ist zu frech, um nur  Imagebroschüre zu sein, und gibt gut die  Stadtwahrnehmung der Gegenwart wieder. Und  E-Mails, in denen Moshammer mit dem Auftraggeber stritt, der mehr Klischee  wollte. 

Das Cover des Buches „Vienna“ von Stefanie Moshammer mit einem Foto einer Statue.

Ein Panoptikum des österreichischen Geists

365 Porträts.  Rund 50 Jahre umspannt das fotografische Schaffen von Sepp Dreissinger, der einst von Vorarlberg über Salzburg nach Wien kam, um Musik, aber auch Bilder zu machen. Einige davon – zu nennen sind hier  insbesondere  seine Porträts von Thomas Bernhard – sind längst Ikonen geworden. 

Ein Mann mit Schnurrbart steigt eine Leiter hinauf und blickt in die Kamera.

Ein junger Paulus Manker, 1988 porträtiert von Sepp Dreissinger  

Dreissingers Opus magnum  „365 Porträts“ (Album Verlag, 465 Seiten, 59 €; Sonderausgabe mit signiertem Originalfoto 159 €) vermittelt nun in  umwerfender Weise, welche  Bandbreite von sonst kamerascheuen Geistesmenschen der Fotograf porträtieren konnte.  Fast spürbar wird dabei, wie Intimität, Eigenbrötlertum und Weitblick zu jener Atmosphäre verflossen, die Österreichs Kultur des 20. Jahrhunderts atmete. 

Das Cover des Buches „365 Portraits“ von Sepp Dreissinger zeigt ein Schwarzweißporträt einer Frau.

Bilder, die die Welt auf ihren Schultern tragen 

Im Sommer 2023 stellte Anja Manfredi, Künstlerin und Leiterin der „Fotoschule Friedl Kubelka“ in Wien, ihr Projekt „Atlas“ im Wiener Bank Austria Kunstforum vor. Nicht nur die Qualität und Präzision der Fotografien, hinterließen dabei Eindruck, sondern auch der gedankliche Überbau des Projekts. Manfredi weiß, dass wir beim Anblick der Natur stets auch Mythen und Geschichten sehen und unsere gebaute Umgebung ebenfalls von Anspielungen darauf strotzt. 

Zwei weibliche Statuen tragen ein architektonisches Element.

„Atlas“ ist auch in Buchform (Fotohof Edition, 25 €) ein beeindruckender Foto-Essay, dessen Spannweite von Aufnahmen des Atlasgebirges bis zu  architektonischer Details   reicht und der Geistesgeschichte raffiniert mit überwältigender Ästhetik kurzschließt.  

Harte Kontraste zwischen Traum und Wirklichkeit

Seit mehr als vier Jahrzehnten ist der österreichische Fotograf Peter Mathis in den Hochgebirgen der Welt unterwegs. Berge sind sein Element,  sind seine Models. Die Aufnahmen, die der leidenschaftliche Bergsteiger von seinen Wanderungen mitbringt, sind atemberaubend.  In ihnen verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Natur und Kunst. 

Eine Schwarzweißaufnahme von steilen, zerklüfteten Bergen im Nebel.

Der kürzlich bei Prestel (61,50 €) erschienene Bildband "Berge" umfasst eine Auswahl der besten Motive der vergangenen 30 Jahre –  man blättert sich  von den Alpen über  die kalifornische Sierra Nevada bis zum Himalaya. Mit diesen  konsequent in Schwarz-Weiß gehaltenen Fotos dokumentiert Mathis  auch Schattenseiten des Tourismus und das Schmelzen der Gletscher. 

Ein Bergmassiv ragt in einer Schwarz-Weiß-Aufnahme in den Himmel.

Auf Tuchfühlung mit dem Boss

Einmal dem Boss ganz nah sein, das kann man mit dem vier (!) Kilo schweren XL-Bildband (erschienen bei Taschen), der  Hunderte Bilder von  Lynn Goldsmith  umfasst. Entstanden sind diese Fotos während des Entstehungsprozesses des vierten Albums „Darkness on the Edge of Town“ (1978) und der danach folgenden Tour durch Amerika. Damit dokumentierte die US-Fotografin Springsteens Wandel vom One-Hit-Wonder zum amerikanischen Lieblingspoeten. 

Schwarzweißporträt von Bruce Springsteen mit einer Gitarre.

Der Boss spielte damals  um sein Leben, wie es im Buch heißt. Bei dieser entscheidenden Phase seiner Karriere dabei zu sein, hat seinen Preis: Das Buch gibt es derzeit nur in der Luxusversion für 600 Euro. Wer warten kann: In rund einem Jahr könnte es eine billigere Version geben.  

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