Was damals weit weg schien, ist so nah gerückt
Diese Erzählung ist auch deshalb so furchtbar, weil ihre Quintessenz mit dem Ukraine-Krieg noch viel näher an unser Bewusstsein herangerückt ist: Zu welchen Maschinen Menschen werden können. Wie kalt und gefühllos, wie manipulierbar, wie unreflektiert befehlsergeben und austauschbar.
Mathias Enard erzählt in „Der perfekte Schuss“ von einem Scharfschützen. Von dessen täglicher Routine, stundenlang zu lauern und Menschen zu erschießen. Seine Präzision ist sein Stolz. Ob noch irgendetwas das Herz des 18-Jährigen berührt? Höchstens die demente Mutter oder das Teenager-Mädchen Myrna, das eine sanfte, dunkle Seite in ihm anspricht. Hoffnung auf Menschlichkeit gibt es indes keine. Der kurze Roman-Erstling des vielfach preisgekrönten Franzosen Enard (er wurde 2015 mit dem Prix Goncourt für „Kompass“ ausgezeichnet) ist 20 Jahre alt, erst jetzt wurde er ins Deutsche übersetzt. Der Schauplatz von „La perfection du tir“, so der Titel im Original, ist unbekannt, damals klang das alles wohl sehr abstrakt. Erschreckend, wie nahe es jetzt ist.