Susanne Kuhn, Thomas Bernhards Halbschwester, erzählt von einem durchwachsenen Urlaub mit ihrem Bruder und davon, wie er mit öffentlichen Anfeindungen zurechtkam
Manche Geschichten beginnen ganz genau so, wie man sich das vorstellt. „Am 27. November 1988 flogen wir, mein Halbbruder Thomas und ich, von Wien nach Málaga. Er wusste von meiner Flugangst, und um mich abzulenken, vertrieb er mir die Zeit mit Geschichten über Flugzeugabstürze.“
Thomas Bernhard, der Boshafte. Ihr großer Bruder, erzählt Susanne Kuhn, habe die Leute gerne sekkiert. So kennt man Bernhard aus seinen Büchern und so stellt man ihn sich auch privat vor.
Eindrücke, die Susanne Kuhn im persönlichen Gespräch wie auch in ihren nun veröffentlichten Erinnerungen an die letzten Monate des Autors zum Teil bestätigt. Und zugleich widerlegt. Denn dieser Thomas Bernhard, ihr neun Jahre älterer Halbbruder (Susanne Kuhn entstammt wie ihr zwei Jahre älterer Bruder Peter Fabjan der Ehe der Mutter Bernhards mit Emil Fabjan), konnte auch ganz anders.
Er konnte fürsorglich sein. Selbst schon todkrank (er starb zwei Monate nach dem Spanien-Aufenthalt am 12. Februar 1989), sorgte er sich, dass sich seine Schwester abends auf dem Balkon verkühlen könnte. Und obwohl eigentlich nicht an Unterhaltungsmusik interessiert, wollte er doch wissen, was die kleine Schwester denn so höre: In the Summertime von Mungo Jerry. Bernhard mochte das Lied, die Geschwister sangen gemeinsam.
Nachzulesen sind diese Episoden im Buch „Drei Wochen mit Thomas Bernhard in Torremolinos“, das Kuhn gemeinsam mit dem Zeichner Nicolas Mahler und dem Literaturwissenschafter Manfred Mittermayer herausgegeben hat. Erstmals spricht hier eine Frau aus der sehr männerdominierten Familie um den Schriftsteller Bernhard.
Susanne Kuhn/Nicolas Mahler/Manfred Mittermayer: „Drei Wochen mit Thomas Bernhard in Torremolimos“ Korrektur, 22€
Genie & Geometriewahn
In dem Buch berichtet Kuhn auch von einem dramatisch verlaufenen Schuhkauf, der in seiner Absurdität selbst Bernhard-Qualitäten hat. Bernhard war ein passionierter Käufer hochwertiger Kleidung. In einem nahe gelegenen Schuhgeschäft ließ er sich, nachdem er seine Schuhe ausgesucht hatte, bequem in einem Fauteuil nieder, und ließ seine Schwester von ihm für sie ausgewählte Schuhe anprobieren. Susanne musste mehrmals auf und abgehen, drei männliche Verkäufer sahen ihr zu. „Die haben bestimmt geglaubt, ich bin sein Dienstmädchen! Im Hotel stellten wir dann fest, dass seine Schuhe in edle Stoffsäcke verpackt waren, und meine nur in Papier. Das hat ihn wütend gemacht. Mich hat die Verpackung nicht gestört, wohl aber, wie er mit mir umgegangen ist. Das hätte ich nicht drei Wochen lang aushalten können, ich war fest entschlossen, abzureisen“, erzählt Susanne Kuhn. Und sie setzt nach: „Rückblickend hätte ich mir das nie verzeihen können.“ Die Schuhe aus feinstem braunen Peccary-Leder hat sie heute noch.
Sie wolle ihren Bruder niemandem erklären, sagt sie im Gespräch mit dem KURIER, der sie in ihrem Zuhause in der Nähe von Salzburg besucht. Sie wolle auch eine andere Seite ihres Bruders zeigen: „Ich erzähle nur, was ich mit ihm erlebt habe.“
Susanne Kuhn, 85, sieht ihrem Bruder ein bisschen ähnlich. Ähneln sich auch die Charaktere? „Na ja, vom Genie ist bei mir nichts da, es waren eher alltägliche Dinge, in denen wir uns ähnlich sind. Mein Bruder war sehr ungeduldig. Wenn er eine Idee hatte, wollte er sie sofort umsetzen. Aber manchmal hat die Kraft nicht mehr gereicht und er hat es nicht erwarten können, dass jemand kommt, der ihm hilft. Manchmal geht’s mir genau so. Und dann war da der ,Geometriewahn‘, den unser Bruder Peter Bruder bei uns beiden feststellte. Ich brauche Ordnung, um das innere Chaos auszugleichen.“
Susanne Kuhn mit den Schuhen, die ihr Bruder für sie kaufte.
Der „Nestbeschmutzer“
Oft, wenn das Gespräch auf Thomas Bernhard kommt, bekommt sie Ausdrücke wie „Ungustl“ oder „Nestbeschmutzer“ zu hören. „Die haben halt nichts von ihm verstanden. Das Nest hat nicht er beschmutzt, er hat es nur aufgezeigt.“ im Umgang mit anderen kam es immer darauf an, wen er vor sich hatte. „Zu Menschen, die er geschätzt hat, war er durchaus höflich und unterhaltsam. Viele haben seine Nähe gesucht. Im ganz privaten Bereich konnte er aber manchmal schon unangenehm werden. Er hat sich dann ein Opfer ausgesucht um auszuloten, wie man zu ihm steht.“
Eine einfache Bruder-Schwester-Beziehung hatten Thomas Bernhard und Susanne Kuhn nicht. „Ich habe ihn bewundert, war fasziniert von ihm, ich habe alle seine Bücher gelesen und mich für alles interessiert, was er gemacht hat. Ich hab schon sehr jung begriffen, dass er eine außergewöhnliche Persönlichkeit ist. Aber ich hab mich immer schwergetan mit ihm, weil ich auch Angst gehabt hab, dass ich etwas falsch mache oder etwas Falsches sage. Ein Bruder zum Anfassen war er nie. Er korrigierte mich manchmal, eher behutsam und sagte dann: ,So, jetzt weißt du’s. Kannst es gleich wieder vergessen.’“
Und die Zeit in Spanien? „Das war kein Urlaub für mich. Es war mir klar, dass diese drei Wochen mit Thomas sehr herausfordernd für mich sein würden, und ich hatte vor allem Angst, dass er stirbt, was durchaus passieren hätte können.“
Das hält man nicht aus
Ob er missverstanden wurde? „Missverstehen ist einfach, verstanden haben ihn nur wenige. Er war in einer ganz anderen Welt zu Hause. Am meisten haben die geschimpft, die ihn gar nicht gelesen haben.
Er hat auch viele Briefe mit Drohungen und Beschimpfungen bekommen. Eine ganze Schublade voll. Die hat er mir mitgegeben und gesagt, dass ich sie verbrennen soll. Er sagte noch, das hält man doch nicht aus.
Mein Bruder war sicher unbequem. Dazu bemerkte er: Den Weg, den ich gegangen bin, den kam man nur alleine gehen und das ist sehr schwer, das kannst du mir glauben.“