„Es wäre einfacher gewesen, man hätte uns hier umgebracht, damit wir wenigstens bei unseren eigenen Leuten begraben werden“, sagt Stella Levi. Sie ist Auschwitz entkommen.
Und sie ist auf ihre Insel zurückgekehrt. Mit 92 Jahren steht sie dort, blickt auf das Wasser und sagt: „Was für eine absurde Deportation.“
Stella Levi ist mehrmals in die Juderia von Rhodos zurückgekommen, dorthin, wo sie auf die Welt gekommen ist und wo ihre Vorfahren seit dem 15. Jahrhundert lebten. Sephardische Juden, aus Spanien verbannt, zerstreut über ganz Europa. In Rhodos lebten sie unter osmanischer, später unter der Herrschaft der Italiener. Schon deren faschistische Rassengesetze veranlassten viele Juden, die Insel zu verlassen. Mit den Deutschen kam die endgültige Deportation. Das Ende der jüdischen Gemeinde von Rhodos.
Als Stella Levi dem Journalisten Michael Frank aus ihrem Leben erzählt, sagt sie gleich: Von den Lagern wolle sie nicht sprechen. Sie wolle nicht über ihr Leben als Holocaustüberlebende reden. Nicht darin erstarren.
Stella Levi ist heute hundert Jahre alt, sie lebt in New York. Vor acht Jahren lernte sie den Autor Michael Frank kennen, die beiden kamen zufällig in ein Gespräch, das sich bald vertiefte. Noch nie zuvor hatte sie jemandem von ihrer Vergangenheit erzählt. Aus einem Treffen an einem Samstagnachmittag wurden „Einhundert Samstage“ – das Buch, das Frank aus Stella Levis Geschichte gemacht hat.
Stella Levi ist eine kleine, zarte Frau, die, hundert Jahre hin oder her, vor Energie strotzt. Lebenshungrig, resolut und ein bisserl stur. Das liest man aus Michael Franks einfühlsamem Bericht über seine Scheherazade, seine Geschichtenerzählerin heraus. Sie wollte vom Leben erzählen, nicht von der Vernichtung. Sie wollte von ihrer Jugend in Rhodos berichten, von einer verlorenen Welt. Von der Großmutter, einer Heilerin, vom selbst gemachten Marzipan der Mutter und von den fadendünnen Nudeln, den Fideos, die Stella zum Trocknen über das Balkongeländer hängte. Von ihrer Jugend, in der man über Proust und Freud diskutierte und über Groucho Marx lachte. Von Liebe, Hoffnung und Verlust.
Stella Levi hat dann auch über die Lager gesprochen. Über das Grauen. Vor allem aber das Glück, das ihr das Leben gerettet hat. Ein Leben, an dem sie eisern festhält. Stur, wie sie ist.