Kenneth Fearing: Auf der Jagd nach sich selbst

Man liest den ersten Satz und hört schon die Erzählstimme Humphrey Bogarts: „Pauline Delos ist mir zum ersten Mal auf einer jener unendlich wichtigen Parties begegnet ...“
„Die große Uhr“ liest sich wie ein Handbuch des Noir-Thrillers. Und schrammt als solches stellenweise an der Karikatur vorbei: „Dem Auge bot sie nichts als pure Unschuld, doch die Instinkte witterten heiße Erotik, und der Verstand spürte die Nähe der Sünde.“ Macht aber nichts, das hier ist wirklich großes Kino. Und wurde natürlich mehrmals verfilmt (allerdings nie mit Bogart). Worum geht es? George Stroud, Chefredakteur eines True-Crime-Magazins, ist auf der Jagd nach dem Killer von Pauline Delos. Und zugleich auf der Jagd nach sich selbst. Bei dem gesuchten Unbekannten, mit dem die Frau zuletzt gesehen wurde, handelt es sich um Stroud selbst: Pauline war seine neueste Affäre. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von sieben Protagonisten, darunter Strouds Gattin. Jeder treibt die Handlung voran und kreist den Täter-Ermittler ein.

Kenneth Fearing:
„Die große Uhr“
Übersetzt von Jakob
Vandenberg.
Elsinor.
200 Seiten.
21,50 Euro
Die Atmosphäre dieses Romans ist beklemmend, der Titel eine Metapher: Die Uhr, der Diktator, dem man sein Leben unterwirft – Fearings Roman ist auch ein Stück Zivilisationskritik, schreibt Krimi-Spezialist Martin Compart im Nachwort des Thrillers aus dem Jahr 1946, der nun erstmals auf Deutsch erschienen ist. Als das Buch geschrieben wurde, hatte der Kalte Krieg gerade begonnen und der McCarthyismus durchseuchte die amerikanische Gesellschaft, verunsicherte und bespitzelte sie. Diese drückende Atmosphäre spürt man hier. Immer wieder schien der Thriller auf Listen von „besten Krimis aller Zeit“ auf – sogar Großmeister Raymond Chandler, berüchtigt fürs Lästern, zollte Kenneth Fearing Respekt für seinen Thriller, der sein einziger großer Erfolg bleiben sollte.