Im Loslassen wird sie täglich besser, es geht auch nicht anders. Ausmisten, was nicht mehr wichtig ist. Gedanken sortieren. Der Titel „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ ist Programm. Formt Kapitel für Kapitel das schemenhafte Bild einer Frau. Gibt Rückblicke und Einblicke in den Status quo. Subjektive Erinnerungen – was sonst. Jeder zimmert sich seine eigene Realität. Manchmal ändert die Zeit nicht nur die Erinnerung, sondern auch die Prioritäten, den ganzen Mensch.
Interessant, an was man sich plötzlich erinnert. Ein zufälliges Treffen mit dem Ex aus Schweden. Jahrelang hatte sie mit ihm zusammengelebt, nun sagt er: „Das ist so lange her, daran erinnere ich mich kaum mehr.“ Ein Satz, eine Demütigung. Lebensentscheidend? Nein. Aber es hallt nach.
In ihrer Familie tanzte die Erzählerin schon in der Kindheit aus dem traditionell geprägten Familien-Idyll. Als einziges Mädchen an der Schule hat sie es sich ertrotzt, im Werkunterricht der Buben mitzumachen. Traditionelle Rollenbilder sind ihr zuwider, sie ist „nicht geschaffen für das kleine, einfache, nahe liegende Glück.“
Früh weggezogen aus der ländlichen Enge, aufgeschlagen in Wien. Partys, wenig Geld, viel Erfahrung.
Wie viel Autobiografisches die Vorarlberger Autorin eingebaut hat, bleibt offen. Klar wird, dass das Glück ihrer Protagonistin „ein bisschen weniger traditionell und ein bisschen zerkratzter“ aussieht, als es sich ihre Eltern für sie gewünscht hätten. Sie ist geschieden, alleinerziehend, lebt in einer Mietwohnung statt in einem Einfamilienhaus. So gesehen schaut die Lebensbilanz ihrer vorbildhaften Zwillingsschwestern, die ihr schon als Kind die Show stahlen, glänzender aus. Sie waren wohl auch der Grund, warum sie früh ausgezogen ist. Neben ihren Schwestern war sie schon als Kind unsichtbar, so die Erinnerung.
Jetzt ziehen also die eigenen Zwillingskinder aus. Sie bleibt zurück mit ihrem Hund, der bei jeder Autofahrt auf die Rückbank speibt. Melancholie? Ein bisschen, aber es liegt eine neue Freiheit in der Luft, eine Aufbruchstimmung. Ein neues Leben.