Autobiografie von Margaret Atwood: Sie schreibt Vorab-Nachrufe auf das Menschliche

Margaret Atwood vor einem rosa Hintergrund, mit einem gemusterten Schal und roten Ohrringen.
In "Book Of Lives" erzählt die Nobelpreisanwärterin ("Der Report der Magd") facettenreich aus ihrem Leben.

Margaret Atwood zu lesen war immer schon ein außergewöhnliches Erlebnis: Dunkel sind ihre Zukunftswelten, und trotzdem muss man an jeder Ecke damit rechnen, plötzlich in verzweifeltes Gelächter auszubrechen. Atwood ließ in ihren Büchern mehrmals die Welt untergehen, zumindest die menschenwürdige Welt, und so beklemmend das ist, man spürt den Schalk, der ihr dabei (auch) im Nacken saß.

Margaret Atwood zu lesen, hat sich zuletzt zu einem ganz anderen Erlebnis gewandelt – einem, das näher an die echte Welt herangerückt ist. Es haben sich nämlich die Menschen als derart unbelehrbar herausgestellt, dass sich die Realität immer mehr in ein Margaret-Atwood-Buch verwandelt. Den „Report der Magd“, Atwoods Durchbruch, etwa las man in den 1980ern mit der beruhigenden Überzeugung, dass es sich bei dieser Vision eines zutiefst frauenfeindlichen, religiös-fundamentalistischen Horror-Amerikas um etwas handele, das man gesichert ins Reich der Fiktion verbannen kann.

Nun ja. Man lacht immer noch, aber zunehmend aus Verzweiflung.

Margaret Atwood kann, sagt Margaret Atwood, natürlich nicht die Zukunft vorhersagen. Dennoch ist man bei jeder Re-Lektüre überrumpelt von den feinsinnigen Antennen, mit denen Atwood Entwicklungen Trends, Gefahren, Abgründe wahrnimmt, lange bevor das im öffentlichen Bewusstsein präsent wird. Wie etwa die Radikalisierung in Fragen rund um den weiblichen Körper: Im „Report der Magd“ wird das aktuelle Social-Media-Phänomen der Tradwives vorweggenommen und auf die Spitze getrieben. In der „Oryx und Crake“-Trilogie, ihrem allumfassenden Hauptwerk, wiederum vernichtet ein destruktives Genie die Menschheit, um die brutale Männerherrschaft über den weiblichen Körper zu beenden – eine herbe Vorab-Gruselversion von MeToo.

„Schreiben wie ein Mann“

Nun hat Atwood mit „Book Of Lives“ „so etwas wie Memoiren“ geliefert. Es ist eine facettenreiche Lektüre – und ein Parallel-Lebensroman zu all dem, was man in den Büchern der 1939 in Ottawa geborenen Literaturnobelpreis-Anwärterin so liest. Etwa den vielen Männerunsinn, den sich eine Autorin anhören muss. „,Sie schreibt wie ein Mann’, sagte ein Dichterkollege in den frühen 1970ern über mich und meinte es als Kompliment“, liest man darin, auch, dass sie als Hexe bezeichnet wurde. Es geht, auch in vielerlei anderer Hinsicht, um die Erfahrungen, die sie als Autorin geprägt haben.

Atwood widmet sich ihrem Leben mit jener Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor, die man auch aus ihren Büchern kennt. Sie schildert jene Befindlichkeiten, die zwischen Star-Autoren herrschen, ebenso wie ihre Demütigungen am Schulhof und die düsteren Motive, die sie aus einem Kinderbuch über Hasen herauslas. Und auch die schwierigen Seiten des Erfolges. Sie wurde, als „Der Report der Magd“ zur Streamingserie der Stunde wurde, „zunehmend als eine Art Symbolfigur, Prophetin oder Heilige betrachtet“, schreibt sie. Vielleicht, sinniert sie am Schluss, neigt sich „unser Glück als Spezies dem Ende

zu. Ich muss die Schattenseiten nicht aufzählen – sie sind hinlänglich bekannt, und ich habe sie oft genug in vielen Büchern beschrieben. Doch ich – meine vielen Ichs –, wir hoffen weiterhin auf das Beste.“ 

46-219986221

Kommentare