Brigitte Giraud: Zwanzig Jahre Trauer

Brigitte Giraud: Zwanzig Jahre Trauer
Der aktuelle Prix Goncourt-Gewinner: Brigitte Girauds Roman „Schnell leben“

Sie findet es im Internet. Das Gesicht von Tadao Baba. Dem japanischen Staringenieur, dessen Konterfei sogar Duschvorhänge und Babystrampler ziert. Dieser freundliche ältere Herr, der die Honda Fireblade designte, mit der ihr Mann Claude am 22. Juni 1999 tödlich verunglückte. In Japan war dieses Motorrad wegen seiner Gefährlichkeit nicht für den Straßenverkehr zugelassen, in Frankreich aufgrund eines EU-Abkommens schon.

Zwanzig Jahre später entschließt sich Brigitte, das Haus, das sie und Claude kurz vor dem Unfall gekauft hatten, zu verlassen. Und aufzurollen, was damals passiert ist. Warum dieser besonnene Claude damals mit Vollgas losgefahren ist. Als stünde er am Start jenes berühmten japanischen Rennens, für das die Maschine gebaut war.

Brigitte Giraud: Zwanzig Jahre Trauer

Brigitte Giraud:
„Schnell leben“.

Übersetzt von Michael Kleeberg.

Frankfurter Verlagsanstalt.
200 Seiten.
24,70 Euro  

„Schnell leben“ heißt der Roman, für den die 62-jährige Französin Brigitte Giraud 2022 den Prix Goncourt erhalten hat. Er ist konventioneller als der Gewinner im Jahr davor, Mohamed Mbougar Sarrs „Die geheimste Erinnerung der Menschen“, den manche fantastisch, andere manieriert fanden. Girauds Roman ist schlichter gebaut, die Story schnell erzählt: „Das Haus zu verlassen heißt auch, dich loszulassen.“ Fragen nach dem Warum und dem Wenn bleiben. Wenn Claude nicht das Motorrad des Bruders genommen hätte. Wenn er Coldplay gehört hätte und nicht Death in Vegas. Wenn es Tadao Baba nie gegeben hätte. Auch bei sich sieht sie Schuld, weil sie am fraglichen Abend nicht Zuhause war: „Sie wissen doch, wie wichtig es ist, jemandem die Schuld zuzuschieben, auch, wenn man es selbst ist. “ Diese Rückschau einer Frau, die seit 20 Jahren trauert, ist eindringlich. Die Übersetzung, die mit Ausdrücken wie „Tippmamsell“ aufwartet, leider altbacken.