Booker-Preisträger Paul Lynch "Auf hoher See"

Die Katastrophe beginnt mit einer Dummheit, oder besser: mit Bolivars Ignoranz. Der Fischer braucht dringend Geld, deshalb will er an einem Nachmittag noch schnell aufs Meer hinaus. „Da zieht ein Sturm auf, der wird richtig wehen“, warnt sein Chef. Bolivar fährt dennoch.
Gemeinsam mit einem unerfahrenen Buben – Hector.
Damit ist es angerichtet. Der Sturm tobt, die Fischer überleben mit Mühe und treiben fortan hilflos übers Meer.
Salzgischt
„Jenseits der See“ ist das vierte Buch von Booker-Preisträger Paul Lynch; sein zweites, das ins Deutsche übersetzt worden ist.
Lynch erzählt eine archaische Geschichte: Zwei Fischer kämpfen auf hoher See in einer Nussschale ums Überleben. So schlicht wie der Ablauf ist Lynchs Sprache. „Die zischende Salzgischt. Hectors Schreie zum Flüstern zerstoben. Lieber Gott, bitte, ich will nicht sterben. Das Windgeräusch tost durch dunklen Raum.“
Die beiden Protagonisten finden bei ihrer Odyssee zueinander, Lynch malt drastische Bilder eines Überlebenskampfes, den die beiden gegen die Gewalten und sich selbst bestreiten. In der sengenden Sonne „verdorrt“ ihnen das Fleisch auf „langsam garenden“ Knochen.
Die großen Themen kommen auf engstem Raum. Liebe und Hass, Freundschaft und Vaterschaft, und: Hoffnung. „Was ist Hoffnung anderes als eine kleine Flamme?“, denkt Bolivar. „Man nährt sie mit einer Kleinigkeit und dann noch mit einer. So leben wir.“ Schiffbrüchige treiben durch die Hölle: Hector und Bolivar fangen Schildkröten, deren Organe sie roh hinunterwürgen. Mal kommt Hitze, dann Hagel. Ein im Meer verlorenes Messer wiegt schwer wie der Tod. Schiffe ziehen vorbei, ohne zu helfen. Und von Seite zu Seite fragt sich der Leser: Werden die beiden überleben? Oder vielleicht nur einer? Oder doch keiner?

Paul Lynch:
„Jenseits der See“
Klett-Cotta. 192 Seiten. 23,95 Euro.