Die USA, eine soziale Ruine

Ohne Fundament steht ein Haus schlecht. Das muss Willa gleich auf den ersten Zeilen dieses Romans erfahren. Das Haus, das sie geerbt hat und in das sie mit Ehemann Iano, Tochter Tig (Antigone) und dem pflegebedürftigen Schwiegervater Nick gezogen ist, ist einsturzgefährdet, sagt ihr ein Gutachter. Es dauert aber nicht lang, und etwas anderes zieht Willa den Boden unter den Füßen weg: Die Lebensgefährtin ihres Sohnes Zeke hat kurz nach der Geburt des Enkels Suizid begangen. Zeke und das Baby sind nun obdachlos, daher nimmt Willa sie zu sich – in ihre Ruine von Haus.
Man merkt schon, an Metaphern mangelt es dem Roman „Die Unbehausten“ von Barbara Kingsolver nicht. Und da ist noch nicht mal von der zweiten Erzählebene die Rede gewesen. In der geht es um dasselbe Haus, das schon in den 1870ern eine Familie beheimatet hat – und schon damals auf wackeligem Grund stand. Der Lehrer Thatcher Greenwood lebte dort mit seiner Frau und deren Schwester und Mutter. Im Mittelpunkt steht aber seine Beziehung zur Nachbarin Mary Treat. Die ist eine historische Person, sie war Botanikerin, die mit Charles Darwin in Kontakt stand. Auch der Ort der Handlung, Vineland in New Jersey, ist nicht zufällig ausgewählt.
Kingsolver stellt in diesem vier Jahre vor ihrem Hit „Demon Copperhead“ erschienenen Roman die Illusionen dieser Gründerzeit einer desolaten USA (kurz vor Trumps erster Wahl) gegenüber. Besonders den mehr als löchrigen Schutzschirm des Sozial- und Gesundheitssystems schildert sie in schillernden Farben und mit sarkastischem Ton. Die vielen Anliegen machen den Roman aber etwas überladen – man muss sich Zeit für ihn nehmen.
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