Auður Ava Ólafsdóttir: Heidegger rief an – „falsch verbunden“

Winzig ist sie, leicht wie ein Vogelskelett und Jonas ist sich sicher: Er wird nicht so enden wie seine Mutter. Sein Leben hält er jetzt schon für vorbei. „Fast neunundvierzig, männlich, geschieden, heterosexuell, machtlos, kein Sexualleben, handwerklich geschickt.“ Eine wenig schillernde Selbstbeschreibung. Jonas’ Mutter ist dement – sie konnte einst Quadratwurzeln ohne Taschenrechner ausrechnen. Seine Frau ist weg und hat ihn davor noch wissen lassen, dass die gemeinsame Tochter namens Vatnalilja, Wasserlilie, nicht sein leibliches Kind ist.

Auður Ava Ólafsdóttir:
„Hotel Silence“. Übers. von Tina Flecken. Insel.
208 S. 23,70 €
KURIER-Wertung:
4 von 5 Sternen
Hinter der Kellertür fällt sein Blick auf das Puppenhaus, das er einst für sie gezimmert hat. Vorbei. Ein Wasserlilien-Tattoo will sich Jonas noch stechen lassen und dann verschwinden. Per One-Way-Ticket in ein fremdes Land. „Die Lage gilt als instabil, und es ist ungewiss, ob die Waffenruhe hält. Das erscheint mir ideal, ich könnte an einer Straßenecke erschossen werden oder auf eine Landmine treten.“ Jonas’ einziges Gepäckstück ist sein Werkzeugkasten – vielleicht muss er einen Haken an der Decke anbringen, für das Seil. Doch hier, wo er im „Hotel Silence“ sein Ende finden wollte, ist keine Zeit für Selbstmitleid. In dem heruntergekommenen Land kann man Jonas und seinen Werkzeugkoffer für wichtigere Dinge als Selbstmord gebrauchen.
Die isländische Bestsellerautorin Auður Ava Ólafsdóttir hat mit „Hotel Silence“ ein traurig-komisches Buch geschrieben, so, wie man sich Island-Romane vorstellt. Seltsam und sehr warmherzig. Zu den schönsten Momenten gehört jener, als die demente Mutter dem Sohn mitteilt, der Philosoph Heidegger habe angerufen und nach ihm gefragt. „Ich habe ihm gesagt, er wäre falsch verbunden.“