Abdulrazak Gurnah: Sein erster Roman nach dem Nobelpreis

INTERVIEW MIT SCHRIFTSTELLER ABDULRAZAK GURNAH
Alle sind bestohlen, noch vor der Geburt

Es ist, weiß Badar, etwas passiert. Er weiß nur nicht, was. Eines Morgens ist plötzlich jene Tür versperrt, die ihn ins Haus seiner Herren führen sollte. Er ist ausgeschlossen – und wird aus dem Nichts heraus eines schweren Misstrauensbruchs bezichtigt: Gestohlen soll er haben. Aber es ist nicht jener Diebstahl, der dem Roman den Titel gibt.

Gemüse

Denn alle drei Hauptfiguren in Abdulrazak Gurnah neuem Roman, dem ersten, seit er 2021 den Literaturnobelpreis gewonnen hat, wurden auf eine Art bestohlen, die über jenes Tricksen beim Gemüsehändler, das Badar vorgeworfen wird, weit hinaus- und in die Existenz hineingeht.

Bestohlen wurde auch das Land, Tansania, in dem „Diebstahl“ spielt, gestohlen wurde die Zukunft einer Generation nach der Revolution.

Höflich, oftmals vielleicht etwas zu lakonisch erzählt Gurnah von den kleinen und großen Entreißungen des Lebens, unaufgeregt auch dann, wenn es um die nackte Existenz geht. Badar etwa war als Kind schon um seine Familie gebracht worden, schuldlos. Karim wiederum wurde die Kindheit geraubt: Seine Mutter, wie über Generationen üblich allzu jung zwangsverheiratet, stößt ihn von sich, als sie endlich ihrem ersten Mann entkommt.

Er will daher mit Fauzia eine Beziehung führen, die diesen Generationenfluch beendet. Aber auch Fauzia wird am Ende nicht nur ihres Urvertrauens in den eigenen Körper, das ihr schon als Kind abhandenkam, beraubt sein.

„Diebstahl“ ist eine Geschichte des Bestohlen-Werdens über Generationen hinweg – und über die Machtlosigkeit jener, die erst langsam kapieren, was ihnen eigentlich genommen wurde. Ausgerechnet eine Mitarbeiterin einer NGO – wohlmeinend bis zum Überdruss – wird zum Katalysator dessen, was eigentlich nicht passieren hätte sollen. Ein treffsicheres Bild von vielen.

46-217746150

Abdulrazak Gurnah:
„Diebstahl“
Penguin. 
336 Seiten.
27,50 Euro