„Jedes Land – von Afrika bis China – hat seine eigenen ,Bolero’, seine eigene Interpretation und seine eigene Choreografie dieses Musikstückes“, sagt Anne Fontaine im KURIER-Gespräch: „Der ,Bolero’ ist einfach universell.“
Tatsächlich ist es die Mechanik des modernen Lebens, die Ravel inspirierte: Die Geräusche der Fabrik und das Stampfen der Maschinen geben dem Komponisten den Takt vor.
Es war die berühmte Tänzerin Ida Rubinstein, die bei Ravel die Musik zu einem Ballettstück in Auftrag gab, das als „Bolero“ legendär werden sollte. Gleich zu Beginn des Films ladet Ravel – asketisch gespielt von einem abgemagerten Raphaël Personnaz – seine Auftraggeberin zu einem Treffen in der Fabrik ein. Verblüfft wandert Rubinstein (exzentrisch: Jeanne Balibar) hinter Ravel durch die pfauchende Fabrikshalle und weiß nicht so recht, was sie mit der Geräuschkulisse anfangen soll.
„Ravels Faszination mit Fabriken ist historisch verbürgt“, bekräftigt Fontaine, die die Erlaubnis erhalten hatte, in Ravels echtem Haus in Monfort-l’Amaury zu drehen: „In der Nähe seines Wohnhauses, das klein wie ein Puppenhaus wirkt und in dem alles noch so aussieht wie damals, stand eine Fabrik. Die hat er oft besucht, und ihre mechanischen Geräusche haben ihn inspiriert. Auch Töne aus dem Alltagsleben wie Regentropfen, das Ticken eines Weckers oder das Zwitschern eines Vogels sind in seine Kompositionen eingeflossen.“
Als Ida Rubinstein den „Bolero“ das erste Mal hört, ist sie von seiner repetitiven Sinnlichkeit fasziniert. Dementsprechend erotisch fällt die Choreografie aus, die sie sich zu den 17 Minuten Ballettmusik einfallen lässt. Als Ravel jedoch zum ersten Mal die Aufführung auf der Bühne sieht, in der sich eine halb nackte Rubinstein in den Armen jüngerer Männer windet, ist er schockiert.
Asexueller Ravel
„Der Rhythmus des ,Bolero’ spricht den Körper direkt an. Er wirkt wie eine Obsession, die am Ende explodiert. Der ,Bolero’ ist wie Voodoo. Und natürlich lässt er sich sexuell deuten“, findet die Regisseurin: „Aber Ravel empfand die Musik nicht als sexuell. Und als er die erotische Ballettchoreografie zum ersten Mal sah, war er enttäuscht.“
Über Ravels Intimleben ist wenig bekannt. Manche Biografen spekulieren über seine Homosexualität, Anne Fontaine jedoch erzählt ihn als asexuellen Junggesellen, der eine platonische Beziehung zu einer verheirateten Frau unterhält und regelmäßig ins Bordell geht, dort aber den jungen Mädchen nur am Klavier vorspielt.
Seinem Welterfolg „Bolero“ stand Maurice Ravel immer ambivalent gegenüber.
Am Ende seines Lebens litt er an einer Demenzerkrankung. Als man ihm den „Bolero“ vorspielte, erkannte er seine eigene Musik nicht wieder, meinte aber: „Das ist gar nicht schlecht.“
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