Blur vertonen Verlust, Missmut und den Kollaps in Zeitlupe
Drummer Dave Rowntree erzählt von der Melancholie im neuen Album „The Ballad Of Darren“ und der außer Kontrolle geratenen Fehde mit Oasis
20.07.23, 15:09
Vor zwei Wochen traten Blur zwei Mal in Londons Wembley Stadion auf. Hätte es diese Konzerte (siehe unten) nicht gegeben, gäbe es jetzt kein neues Blur-Album. Denn erst als die angekündigt waren, begann Damon Albarn, die Songs für das Freitag erscheinende Album „The Ballad Of Darren“ zu schreiben – um zu verhindern, dass die Shows ein reiner Nostalgietrip werden.
Mit dem Album, dem ersten seit 2015, zeigen sich Blur vorwiegend melancholisch, aber immer noch brillant darin, anspruchsvollen Pop mit Hirn zu kreieren und mit Herz umzusetzen. Die Ausnahme in der nachdenklichen Grundstimmung ist der Song „St. Charles Square“, bei dem Blur mit räudigen Gitarren an ihren Sound der 90er-Jahre anschließen.
Fast wirkt es, als würde der Song eine Revolution prophezeien. „Den Text hat Damon geschrieben, ich will ihm nicht vorgreifen“, erklärt Drummer Dave Rowntree im KURIER-Interview. „Aber dieses Gefühl, dass etwas im Untergrund brodelt, es unausgesprochen Missmut und breite Unzufriedenheit gibt, zieht sich durch das ganze Album. Denn England kollabiert gerade in Zeitlupe. Alle Einrichtungen des Staates wie das Gesundheitssystem zerbröckeln aufgrund des Brexits und der Korruption. Und die einzige Reaktion der Regierung ist, dass sie ihren Freunden Verträge gibt, dass die das System noch weiter aushöhlen können.“
Da spricht der Politiker in Rowntree. Der 59-Jährige hat sich in der Blur-Pause eine zweite Karriere aufgebaut und war von 2017 bis 2021 einer der Vertreter der Labour Party in der Regierung der Grafschaft Norfolk.
Die Melancholie in „The Ballad Of Darren“ hat aber noch einen anderen Grund: Albarn, der diese Songs auf Tour mit den Gorillaz schrieb, hat darin viel Persönliches verarbeitet. Sie sind zwar wie so oft bei Albarn auch sozialkritisch gefärbt, hauptsächlich aber geprägt von den Veränderungen in Albarns Leben. Er zog von London aufs Land, verlor mit dem Drummer Tony Allen und dem Specials-Frontmann Terry Hall, der an Krebs starb, zwei enge Freunde und langjährige musikalische Wegbegleiter.
Dieses Gefühl, dass sich etwas Dunkles anbahnt, vermittelt auch das Album-Cover, auf dem ein Schwimmer in einem Pool seine Längen zieht, während hinter ihm ein Sturm aufzieht.
„Das Foto hat eine zweite Ebene“, erklärt Rowntree. „Der Schwimmer war nämlich so schwer verletzt, dass ihm die Ärzte sagten, er wird nie wieder gehen können. Er entschloss sich aber, das zu ignorieren, schwamm jeden Tag weite Strecken in dem Pool, in dem man ihn auf dem Foto sieht, und wurde wieder gesund. So hat das Foto auch etwas Inspirierendes.“
Mit dem Album feiern Blur ihr 35-jähriges Jubiläum. Rowntree erinnert sich entgegen der allgemeinen Annahme gern an die Anfänge und die Fehde mit Oasis.
„Das ist entstanden, weil es damals in England drei wöchentliche Musikzeitschriften gab. Weil es aber nie so viel Musik gab, dass sie ihre Seiten füllen konnten, waren die voll mit Gossip und Interviews, in denen eine Band die andere beschimpfte. Also machten wir pflichtbewusst Oasis nieder. Nur waren die noch viel großmäuliger als wir. So geriet das außer Kontrolle.“
Der Vorteil davon sei, dass beide Bands erst dadurch so berühmt wurden. Der Nachteil: „Wir sind dadurch wie siamesische Zwillinge. 35 Jahre danach werden wir und Oasis immer noch nach bestimmten Streitpunkten gefragt, die wir damals hatten. Und Journalisten fragen das immer als Letztes, weil sie denken, dass mich das noch wütend macht. Aber ich glaube, das muss ich bald wirklich einmal machen, wenn sie mich wieder nach so etwas fragen: Aufstehen, wegrennen, die Tür hinter mir zuschmeißen und schreien: Ich rede nicht über Oasis!“
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