„Bitte, bitte gebet mir nur ein Lebenszeichen“
„Alice, geborene Rakovsky, verwitwete Mohl, adoptierte Eckhard, ursprünglich jüdischen Glaubens, später katholisch, durch die Ehe evangelisch nach Augsburger Bekenntnis, starb am 29. November 2011 im Alter von 83 Jahren […]“: In dieser kurzen biografischen Zusammenfassung spiegeln sich über das Einzelschicksal hinaus die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts wider.
Genau deswegen – und „damit meine Kinder wissen, woher sie kommen“ – hat Manfred Mohl (* 1959), pensionierter AHS-Lehrer für Geschichte und Latein, die Historie seiner Familie aufgeschrieben.
Der Titel des Buches „Aber red’ nicht drüber …“ war auch das Lebensmotto seiner Mutter, der genannten Alice. Nicht an dieses Motto halten wollte sich Alices ältere Schwester (also Mohls Tante), die Schriftstellerin Gertrude Rakovsky (* 1923), die ein wenig das „schwarze Schaf“ der Familie war. Mohl schreibt auch: „Solange ich denken kann, waren die beiden Schwestern Trude und Alice zerstritten […]“
„Mischlinge 1. Grades“
Die beiden Mädchen waren Kinder einer katholischen Wienerin und eines jüdischen Slowaken, also aus Sicht des NS-Regimes „Mischlinge 1. Grades“. Die Eltern trennten sich 1934, worunter Gertrude sehr litt – und, so der Autor, „später hatte sie offenbar den – vermutlich nicht unbegründeten – Verdacht, dass der Rest der Familie liebend gern den jüdischen Vater losgeworden ist“.
Dass auch dieser Vater, Paul Rakovsky, selbst an der Situation getragen hat, zeigt ein berührender Brief von 1945, also elf Jahre nach der Trennung, worin er seiner Sorge um Ex-Frau und Kinder angesichts des Bombenkriegs Ausdruck verleiht und schreibt: „Bitte, bitte gebet mir nur ein Lebenszeichen […] Ich hoffe, dass Ihr diesmal eine Ausnahme machen werdet und mich nicht ohne Nachricht lassen werdet.“
Mohl hat für seine Familiengeschichte akribisch eine Fülle an Material zusammengetragen – das Buch ist auch mit einer Vielzahl an Fotos und Dokumenten illustriert. Dabei gelingt es ihm zu zeigen, wie die Schrecknisse der Zeit seiner Eltern und Großeltern bis in die alltäglichen Niederungen, die ein jedes Leben mit sich bringt, hineingewirkt haben.
Manfred Mohl: „‚Aber red’ nicht drüber …‘“, Books on demand, 134 Seiten, 19,95 Euro
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