Er konnte hoch springen
Für den dortigen Fußballverein Real Sociedad spielte Chillida einst als Tormann, bevor ihn eine Verletzung 1943 zur Neuorientierung zwang. Als die WM fast 40 Jahre später nach Spanien kam, gestaltete Chillida ein Plakatmotiv, die Zeichnung einer geballten Faust. So kam der Bildhauer ins Panini-Album (das Logo der WM gestaltete übrigens Joan Miró).
In die Kunsthalle Krems gelangte Chillida im Rahmen der Aktivitäten zu seinem Geburtstag, der sich 2024 zum 100. Mal jährt und nun an der Donau eine Art Auftakt findet. In Kooperation mit der Familie und der mit dem Nachlass betrauten Galerie Hauser & Wirth stellte Steininger in der zentralen Säulenhalle einen konzentrierten, fast tempelartigen Schauraum rund um eine einzige Serie zusammen.
In den Folgesälen setzt eine Überblicksschau nach, die Aufschluss über Chillidas künstlerische Entwicklung gibt. Wie schon bei früheren Ausstellungen der Kunsthalle – etwa zu Helen Frankenthaler 2022 oder Per Kirkeby 2018/’19 – gelingt es dabei, eine Künstlerposition, die bereits mit der Patina des „Klassikers“ überzogen ist, als heutig und gegenwärtig zu präsentieren.
Er ließ alles hängen
Zentral verantwortlich dafür ist die Serie „Gravitaciónes“ oder „Gravitationen“, die der Schau auch den Titel gibt.
Zwischen 1985 und 1989 entstand diese Serie mit Schnüren zusammengezurrter und an die Wand gehängter Bögen aus schwerem Papier, die gleichermaßen als Bild, Skulptur und Objekt fungieren und letztlich die Frage stellen, was Schwerkraft ist und wie sie sich begreifbar machen lässt.
Ist es das Hängen, der Unterschied zwischen dem dichten Paket und den losen Enden, das das Gefühl von Schwere vermittelt? Sind es Kontraste zwischen Papier und aufgebrachter schwarzer Tinte, oder jene zwischen Materialien und Löchern darin? Wie verhalten sich Formen – Kreise, Bögen, Rechtecke? Es sind gestalterische Fragen, die auch abseits des rein Bildnerischen einen fast meditativen Prozess, eine Konzentration auf das Wesentliche ermöglichen.
Wie man in der Schau vorgeführt bekommt, verfolgte Chillida das Ziel der Reduktion und Fokussierung über lange Zeit. Ausgehend von klassischen Körper- und Skulpturenformen, denen er als Student im Pariser Louvre begegnete, führte seine Suche über das Studium abstrakter Gebilde, die sich – mal kantig, mal rund entwickelten – im Dreidimensionalen, aber stets auch in der Zeichnung auf Papier.
Er blieb am Boden
Wer die Kunstgeschichte der Nachkriegszeit – mit schwarzen Bildern von Franz Kline bis Josef Mikl, mit Bildhauerei von Constantin Brâncuși bis Joannis Avramidis – im Kopf trägt, wird Parallelen bemerken. Richard Serra, der die Schwerkraft ebenfalls in großartiger Weise in Formen bannte, kommt als Wahlverwandter in den Sinn – doch während die Stahlwände und Teer-Flächen des US-Künstlers eher Umsetzungen eines vorgefassten Konzepts waren, blieb bei Chillida das handwerkliche Tun stärker präsent.
Wie diese – in einem adaptierten Bauernhaus gelebte – Praxis aussah, lässt sich im hinteren Teil der Schau erahnen, wo Videos, Bilder und Modelle einen Eindruck von dem heute als Museum geführten Anwesen „Chillida Leku“ nahe San Sebastián geben: Es ist der Punkt, wo die Schau zart ausfranst. Die große Halle vor dem Ausgang wurde dann noch zu einem Fußballplatz umfunktioniert – mit Kunstrasen.
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