Als wär’s der Heilige Vater

Als wär’s der Heilige Vater
Am Montag wählt das legendäre Berliner Orchester seinen neuen Chefdirigenten. Wer folgt auf Simon Rattle?

Es ist so geheimnisvoll wie bei einer Papstwahl. Mit dem Unterschied, dass keiner der Kandidaten am Konklave teilnehmen darf. Und vermutlich wird der am Ende Gekürte dann auch nicht so cool wie Papst Franziskus auf den Balkon gehen und sagen: "Buona sera!"

Am Montag treten in Berlin, an einem nicht bekannten Ort, die 127 wahlberechtigten musikalischen Kardinäle der Berliner Philharmoniker zusammen, um den Nachfolger des Mitte 2018 zurücktretenden Sir Simon Rattle zu wählen, damit es ja keine Sedisvakanz gibt. Chefdirigent der Berliner Philharmoniker – das ist fast eine Art Heiliger Vater der Klassik. Der Neue tritt in die Fußstapfen (zumindest nominell, ob auch künstlerisch, lässt sich nur mutmaßen) von Größen wie Hans von Bülow (1887–1892), Arthur Nikisch (1895–1922), Wilhelm Furtwängler (1922–1945 sowie 1952–1954), Herbert von Karajan (1954–1989) oder Claudio Abbado (1989–2002).

Kein einziger der stimmberechtigten Musiker äußerst sich öffentlich über aussichtsreiche Kandidaten. Wählbar ist theoretisch jeder Dirigent weltweit. In der Orchesterversammlung entsteht aus Vorschlägen der Mitglieder eine Shortlist, daraus wird der neue Chefdirigent gewählt. Noch aus der Versammlung wird er kontaktiert und gefragt, ob er das Amt auch annehmen wolle – erst danach gehen die Berliner an die Öffentlichkeit.

Aber wer sind nun die Kandidaten? (Dass es eine Kandidatin wird, gilt im immer noch stark männerdominierten Business als so gut wie ausgeschlossen.)

Der Beste ist draußen

Leider nicht mehr Mariss Jansons(72). Der allseits geschätzte Orchesterleiter gab Freitag bekannt, seine Position als Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayrischen Rundfunks bis 2021 zu verlängern und nahm sich damit selbst aus dem Rennen. Er wäre der Beste für Berlin gewesen, öffnet aber möglicherweise mit seiner Entscheidung für München die Tür für einen anderen: Christian Thielemann (56). Dieser ist der Ideale für das deutsche Repertoire, von dem sich die Berliner zuletzt immer weiter entfernt haben. Thielemann ist seit 2012 Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden und Publikumsmagnet der Salzburger Osterfestspiele. Er wäre der logische Chef, gilt aber vielen in Berlin als zu konservativ.

Durchaus Chancen darf man dem 37-jährigen Andris Nelsons einräumen. Er ist bis 2019 Leiter des Boston Symphony Orchestra, würde dem Ruf der Berliner aber wohl folgen. Unwahrscheinlich ist eine Wahl von Gustavo Dudamel (34), der als talentiertester unter den Jung-Maestri gilt. Sein Vertrag mit dem L. A. Philharmonic Orchestra läuft bis 2021.

Ein Kompromisskandidat könnte Riccardo Chailly (62), seit Jänner Musikdirektor der Mailänder Scala, sein. Er ist in Deutschland enorm geschätzt.

Montag soll jedenfalls C-Dur erklingen, wenn schon nicht weißer Rauch aufsteigt.

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