Berlinale 2025: Schulalltag im Angriffskrieg, und ein Film über den Tod

Schulabschlussfeier in der Ukraine: „Timestamp“
Die erste Berlinale unter der Leitung der neuen Intendantin Tricia Tuttle geht temperamentvoll zu Ende. Zurück bleibt Aufbruchsstimmung.
Zwar tut sich die Berlinale immer noch schwer, zwischen den großen Konkurrenten Cannes und Venedig seine Position als bedeutungsvolles A-Festival zu verteidigen. Wenn es darum geht, welches Festival die meisten Filme in seinem Programm vorzeigen kann, die später Oscarnominierungen erhalten, hat Berlin eindeutig das Nachsehen. Und natürlich ist der Februar-Termin – kurz vor der Oscarpreisverleihung – auch kein besonderer Anreiz für die Filmwelt, in der deutschen Hauptstadt anzureisen.
Trotzdem hat es Tricia Tuttle geschafft, besonders dank der aufgepeppten Sektion Berlinale Special ein veritables Maß an Staraufgebot in Berlin zu versammeln. Timothée Chalamet im rosa Ruderleiberl tummelte sich für seine Bob-Dylan-Rolle in „A Complete Unknown“ ebenso auf dem roten Teppich wie Twilight-Star Robert Pattinson als „Mickey 17“ oder Benedict Cumberbatch für seinen Auftritt als verwirrter Vater in „The Thing With Feathers“.
Der diesjährige Wettbewerb um den goldenen Bären verzeichnete heuer weit weniger kontrovers diskutierte Filme als noch unter Tuttles Vorgänger Carlo Chatrian und bot stattdessen eine kompakte Arthouse-Auswahl auf durchwegs solidem Niveau. Auffallend gehäuft fanden sich Filme im Programm, die sich besonders eindringlich mit Mutterschaft beschäftigten – nicht zuletzt auch der treffliche österreichische Beitrag „Mother’s Baby“ von Johanna Moder, in dem der Zweifel einer Mutter an ihrem neugeborenen Säugling ins Horrorfach eines Verschwörungsthrillers kippt.

Erste große Liebe in dem glänzenden Wettbewerbsfilm "Dreams“ von Dag Johan Haugerud
Die Hoffnung jeder Festivalleitung, dass einer der gezeigten Filme eine lange Preis-Reise – idealerweise bis hin zur Oscarnominierung – hinlegt, könnte sich mit einem Höhepunkt am Ende der Berlinale mit Dag Johan Haugeruds Coming-of-Age-Dramedy „Dreams“ erfüllen. Mit großer Einfühlsamkeit, feinsinnigem Witz und visuellem Glanz erzählt der norwegische Regisseur von der ersten großen Liebe der Osloer Schülerin Johanne zu ihrer neuen Lehrerin. Leidenschaft, Begeisterung und letztlich auch große Enttäuschung hält Johanne in Aufzeichnungen fest, die sie schließlich ihrer Mutter und Großmutter zu lesen gibt. Die intime Lektüre löst bei den beiden älteren Frauen gemischte Gefühle aus. Während die Großmutter, beeindruckt von der literarischen Ausdruckskraft der Enkelin, eine Rückschau auf ihr eigenes, längst vergangenes Liebesleben antritt, fragt sich die Mutter, ob sie das Protokoll eines sexuellen Missbrauchs vor sich liegen hat.
Leichtfüßig stellt Regisseur Haugerud all diese Fragen zur Disposition und entwirft dabei wie nebenher das zartbesaitete Porträt dreier Frauengenerationen.
Ein starkes, politisches Statement am Ende des Festivals fand sich in der eindringlichen Doku „Timestamp“ der ukrainischen Filmemacherin Kateryna Gornostai. Trotz des russischen Angriffskriegs bleiben die Schulen in der Ukraine geöffnet. Unaufgeregt beobachtet die Regisseurin, wie Lehrer und Lehrerinnen mit viel Engagement und Fantasie den Schulalltag – zwischen Fliegeralarm und Trauerfeiern – aufrecht erhalten und ein Zeichen des Widerstands setzt.
Stinkefinger für Putin und Trump
Kein Blatt zum Ukrainekrieg nahm sich auch der rumänische Regisseur Radu Jude vor dem Mund. Anlässlich der Premiere seiner gelungen gesellschaftskritischen Tragikomödie „Kontinental 25“ unterschrieb er bei der Gala sein eigenes Porträtfoto nicht mit Namen, sondern mit einem verbalen Stinkefinger an Putin und Trump.

Claude Lanzmann im Making-of von „Shoah“: „All I Had Was Nothingness“
Wie auch im letzten Jahr, führte aktuelle Tagespolitik wieder zu Antisemitismusvorwürfen, nachdem ein Regisseur im Rahmen einer Filmvorführung ein israelfeindliches Statement verlesen hatte. Die Berlinale-Leitung distanzierte sich umgehend von dem Vorfall, jedoch ist es für Tricia Tuttle kein Leichtes, ihr Festival zwischen Meinungsvielfalt und Instrumentalisierung in Balance zu halten. Im Programm jedenfalls setzte sich einen dezidierten politischen Schwerpunkt: Vor vierzig Jahren veröffentlichte Claude Lanzmann „Shoah“, seinen bahnbrechenden Meilenstein der Erinnerung an den Holocaust. Die Berlinale zeigte Lanzmanns Monumentalwerk von 1985 und flankierte es mit einem neuen Film von Guillaume Ribot: In „All I Had Was Nothingness“ kompiliert Ribot unveröffentlichte Aufnahmen von „Shoah“ und kombiniert es mit den persönlichen Erinnerungen des Regisseurs. Unglaublich eindrucksstark erzählt „All I Had Was Nothingness“, wie Claude Lanzmann mit seinem Material ringt und zu der niederschmetternden Einsicht gelangt, dass „Shoah“ kein Film über das Überleben sei, sondern ein Film über den Tod.
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