In der Hauptrolle spielt die herausragende deutsch-schweizerische Schauspielerin Marie Leuenberger eine erfolgreiche Musikerin mit Kinderwunsch. Julia Bode ist akklamierte Dirigentin und Anfang vierzig. Der Arzt einer vornehm wirkenden Kinderwunschklinik verspricht ihr und ihrem Mann (Hans Löw) beste Erfolgsaussichten. Und tatsächlich: Julia wird flugs schwanger. Alles verläuft komplikationsfrei – bis zur Geburt. Das Baby hat sich die Nabelschnur um den Hals gewickelt und wird nach der Entbindung umgehend weggebracht. Als man ihr später das Kind mit der Versicherung, alles sei „völlig normal“, in den Arm legt, bekommt Julia eine Panikattacke.
Die in Graz geborene Regisseurin Johanna Moder, zuletzt mit dem Gesellschaftsdrama „Waren einmal Revoluzzer“ im Kino, greift das altbekannte Motiv von der Frau, „deren Hormone nach der Geburt durcheinandergeraten sind“, auf und verarbeitet es genussvoll zu einem sich leise anschleichenden Reproduktionskrimi. In der eleganten, leicht unterkühlten Atmosphäre gehobener Bürgerlichkeit verwandelt sich das herbeigesehnte Familienglück zur Quelle quälender Zweifel: Wieso kann Julia keine Mutterliebe empfinden? Warum weint das Kind nie?
Alien-artig
Aus dem herzigen Baby wird unter dem prüfenden Blick der Mutter ein seltsames Neugeborenes mit Alien-artigen Zügen. Gekonnt verschmilzt Moders Thriller gesellschaftliche Zuschreibungen von Mutterglück und Mutterliebe und deren Kehrseiten wie postnatale Depression zu einem schwelenden Mystery-Drama, bei dessen sinistrer Auflösung letztlich alle auf ihre Kosten kommen.
Wo Moder jedoch bei ihrem Mutter-Kind-Konflikt den verhaltenen Tonfall wählt, schreit die Amerikanerin Mary Bronstein ihre Frustration heraus.
In ihrem (auch formal) herausragenden Wettbewerbsbeitrag „If I Had Legs I’d Kick You“ steht ebenfalls eine überforderte Mutter im Zentrum: Serienstar Rose Byrne („Physical“, „Platonic“) spielt Linda, Therapeutin und Mutter einer schwer essgestörten Tochter. Zwar sieht man die pflegebedürftige Tochter bis fast zum Ende nie, doch deren fordernde Stimme treibt Linda an den Rande des Nervenzusammenbruchs.
Eng klebt sich die Kamera an die Gesichter der Schauspielenden und reproduziert dadurch eine nervende, übergroße Nähe zu den handelnden Figuren – ganz so, wie es auch Linda in ihrem abhängigen Verhältnis zur Tochter erlebt. Mit hohem Energielevel treibt Regisseurin Bronstein die Handlung vor sich her – und auch manchen Zuschauer aus dem Kino. Als die Tochter mit insistierender Stimme um einen Hamster bettelt, lässt sich Linda breitschlagen und kauft einen beißenden Nager, der ein krasses Ende nimmt. Bronstein flankiert ihre exzellente Hauptdarstellerin Rose Byrne mit prominenten Co-Stars wie Talkmaster Conan O’Brien und Rapper A$AP Rocky und entwirft ein herausfordernd brüllendes Mutterporträt.
Kommentare