Benson Boone und Teddy Swims: Strategien gegen das One Hit Wonder
Rückwärtssalto ist so ein Wort, das die meisten Menschen nur metaphorisch kennen. Und dann heißt es meistens nichts Gutes. Benson Boone kann den Rückwärtssalto ganz buchstäblich. Dabei ist er gar kein Turner, sondern nur Popstar. Einem ziemlich großen Publikum hat der Mann mit dem markanten Moustache seine Flugtechnik heuer bei der Grammy-Verleihung präsentiert. Im tiefausgeschnittenen babyblauen Glitzer-Overall. Da hat der 23-Jährige seinen Song „Beautiful Things“ gesungen, einen Riesenhit des Jahres 2024. Auf Spotify verzeichnet er 2,2 Milliarden Aufrufe.
Das ist ein recht roher Popsong, der einen Gutteil seiner Popularität sozialen Medien wie TikTok und Instagram verdankt. Denn in der ersten Hälfte von 2024 konnte man kaum ein Video aufrufen, in dem nicht Benson Boones Lied mit dem ruhigen Auftakt und dem druckvollen Refrain den Hintergrund-Soundtrack bildete. Auf dem zugehörigen Album „Fireworks & Rollerblades“ hört sich das meiste so ähnlich an wie „Beautiful Things“. Also eher zurückgenommen, vielleicht sogar nachdenklich. Manche würden eventuell auch sagen fad. Jedenfalls nicht so, als hätte Boone einen pophistorisch versierten Clown gefrühstückt.
Synthies und USA-Flagge
Nun hat der bei Mormonen aufgewachsene Boone sein neues Album veröffentlicht, es heißt „American Heart“. In Zeiten wie diesen eine zumindest neugierig machende Titelwahl. Auf dem Cover ist er oberkörperfrei und hält eine US-Flagge. Wenn man interpretationsfreudig ist, könnte man eine Jesus-am-Kreuz-Pose sehen und sich überhaupt recht allgemein an Bruce Springsteen erinnert fühlen. Nun ist dieses Album aber so weit entfernt von Springsteen wie nur möglich. Boone hat sich dazu entschlossen, mit einer Überdosis Synthesizer dem Schicksal des One-Hit-Wonders zu entkommen.
Denn das ihm das drohen kann, damit befasst er sich selbstironisch im Video zum Song „Mr. Electric Blue“. Da trägt er ein T-Shirt, das ihn als ein solches Vergänglichkeitssymbol des Pop bezeichnet. Er steht vor seinem Agenten, der von ihm ein „neues Gimmick“ einfordert: „zum Beispiel, dass du gute Songs schreibst.“ Darauf muss der arme Benson erwidern: „Ach, du weißt doch, genau das kann ich nicht.“
Jetzt macht diese humorvolle Selbstspiegelung ganz sympathisch, aber sein neues Album beweist auch nicht gerade das Gegenteil. Es ist eine zwar sehr konstruierte, aber deshalb nicht nachvollziehbarere Reise in die Klangwelt der 80er inklusive Echo-Effekten und Fake-Orchester-Refrain. Manchmal erinnert Boone dabei an Harry Styles, dann wieder an Tame Impala, eine Band, die den Retrosound im Synthienebel subversiver anlegt. „Mystical Magic“ klingt, als hätte man Rufus Wainwright durch den Mainstream-Fleischwolf gemangelt, „Man in Me“ ist der perfekte Soundtrack zum Wehklagen auf dem Laufband in knackigen Shorts. Das muss man vielleicht aber auch machen, wenn man fit genug für den Rückwärtssalto sein will.
Teddy Swims kommt aus der souligen Ecke.
Der ernsthaftere Musiker
Auch Teddy Swims hat Anfang 2024 einen viralen Hit gelandet, der Tausenden Instagram-Reels eine gewisse Stimmung verlieh: „Lose Control“. Der 32-Jährige hat dieser Tage die „Complete Edition“ seiner zwei Alben „I've tried everything but therapy“ veröffentlicht. Part 1 enthielt den berühmten Song (1,9 Milliarden Aufrufe auf Spotify), Part 2 legte er Anfang diesen Jahres nach.
Der Mann mit der üppigen Kopfhautbemalung und dem Faible für Stimmphrasierung kommt aus der souligen Ecke. Sein Album weist ihn - im wahrscheinlich unfairen direkten Vergleich mit Benson Boone - auf mehreren Ebenen als den ernsthafteren Musiker aus. Das Album wandert durch viele Stile, ohne beliebig zu klingen. „Hammer to the Heart“ könnte ein Bond-Song sein, „God went crazy“ hat jazzige Anklänge, “Free Drugs“ nährt sich am Country, „Not your Man“ versetzt einen in die Soundwelt eines Actionfilms, “Are you even real“ erinnert an die Rap-Soul-Kollaborationen der 90er-Jahre und „Funeral“ ist eine gutgelaunte Selbstaufgabe im Rahmen der Liebe mit Gospel-Zitaten .
Auch Swims arbeitet mit verschiedenen Einflüssen, schafft aber den Sprung in die Eigenständigkeit. Allerdings, zugegeben, ohne Rückwärtssalto.
Kommentare