Benjamin von Stuckrad-Barre: "Zu beichten gibt es nichts"

Benjamin von Stuckrad-Barre.
Der einstige Pop-Literat über seinen Absturz, Udo Lindenberg und Mineralwasser.

Er ist clean. Das Einzige, was sich Benjamin von Stuckrad-Barre noch gönnt, sind Zigaretten. Wie sich sein nüchternes Leben anfühlt, hat der deutsche Erfolgsautor soeben in einem dünnen Band mit dem Titel "Nüchtern am Weltnichtrauchertag" veröffentlicht. Dieser Text ist der Gegenteil von "Panikherz" (Kiepenheuer & Witsch), dem aktuellen Roman des 41-Jährigen. Darin erzählt er die Geschichte seines Niedergangs. Er nimmt den Leser zu seinen Exzessen mit, berichtet darüber, wie er zum ersten Mal Kokain zieht und was das Marschierpulver nach und nach mit ihm anrichtet; wie er in die Entzugsklinik eingeliefert, rückfällig wird und nur knapp dem Tod entkommt.

Am 30. November wird Benjamin Stuckrad-Barre im ausverkaufen Wiener WUK seinen neuen Roman vorstellen.

KURIER: In "Panikherz" legen Sie Ihre Jahre im Drogenwahn offen. Ist das eine Art Beichte?

Benjamin von Stuckrad-Barre: Ganz gewiss nicht. Es ist ein Roman, auch wenn es meine Geschichte ist und vieles so stattgefunden hat, wie es da drin steht. Zu beichten aber gibt es nichts, gegenüber wem überhaupt? Nein, beichten ist ein fürchterlicher Begriff, hat auch so was Gläubisches. Wer wäre denn der Adressat – Gott? Die Öffentlichkeit? Oder ist das sowieso dasselbe? Nein, es ist keine Beichte, es ist kein Therapiegewäsch, es ist ein von mir selbst erlebter und dann aufgeschriebener und literarisierter Roman.

Man sagt, wenn man sich daran erinnern kann, war man nicht dabei. Sie beschreiben Ihre Abstürze im Buch sehr detailliert. Wie kommt das?

"Wer sich an die 80er-Jahre erinnern kann, der war nicht dabei." Das ist ein Falco-Zitat – und Falco ist einer meiner größten Helden. Ein großer Dichter und Sprachinnovator, ein unfassbar cooler Typ, ja beinahe der Erfinder des Coolseins, zumindest von Österreich aus betrachtet, und als Wienverliebter ist das auch meine Perspektive. Falco hat das eigene Trudeln und Strudeln, das Ausmessen der Dunkelzonen, die Abstürze gesucht und dann immer auch als Erzählmaterial begriffen. Darum geht es ja beim Schreiben, Erfahrungen erzählerisch auszubeuten. Dafür lebt man als Schreiber; das eigene Leben ist die Halde des Erzählers. Und das ist, nebenbei, auch eine gute Ausrede für Grenzgänge und Abstürze aller Art: Man muss ja recherchieren. Man muss weit rausschwimmen. Das ist nicht ungefährlich, aber wenn man es schafft, zurückzukommen, hat man auch wirklich was zu berichten. Und man behält von solch existenziellen Erlebnissen bestimmte Szenen und Bilder im Kopf, die nimmt man sich, und dann erfindet man die Geschichte dazu.

Die Beschreibungen der Kokainsucht sind in den Details kaum auszuhalten. Warum diese Offenherzigkeit?

Ich wollte einfach erzählen, was und wie die Sucht ist. Was sie reizvoll macht, warum die Nacht und alles mit ihr Zusammenhängende so höllisch attraktiv sind, warum man da runter will, in die Keller und ins Ungewisse, und eben auch, wie genau es dort zugeht. Es ist lustig und selbstvergessen im Reich des Rausches – und es ist natürlich auch extrem hart und lebensgefährlich. Also muss der Text das auch spiegeln.

Udo Lindenberg zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Er hat sich auch sehr um Sie gekümmert. Sehen Sie Lindenberg als eine Art Vaterfigur?

Udo ist sehr viel für mich, natürlich, Vaterfigur aber nicht, Udo ist niemandes Vater, denn er ist ja selbst noch ein Kind, das ist ja das Tolle an Udo. Er hat einfach nie mitgemacht beim Erwachsenwerden, beim Vernünftigwerden, hat sich nie der Realität gebeugt, genial. Und er war schon mein Freund, lange bevor ich das Glück hatte, ihn kennenzulernen und diese tiefe Freundschaft mit ihm eingehen zu können – einfach durch seine Lieder, die meine Kindheit erhellt haben. Als ich mit etwa zwölf Jahren erstmals eine Platte von Udo hörte, war ich elektrisiert, sein origineller und extrem erfindungsreicher Umgang mit der deutschen Sprache hat mich sofort begeistert. Udos Texte lehrten mich, die deutsche Sprache als Abenteuerspielplatz zu begreifen. Wie er sang und sprach, das hat mich fasziniert. Auch worüber er sang – das waren alles Themen, über die man als Junge dringend mehr erfahren wollte: Liebe, Freundschaft, Abhauen, Amerika, Seefahrt, Nacht, Rausch, Sex, Exzess – alles super interessant.

Gibt einen Satz, einen Liedtext von Lindenberg, den Sie besonders mögen?

Wahnsinnig viele. Ein wiederkehrendes Thema in Udos Werk ist die Rastlosigkeit, der Erzähler muss immer wieder aufbrechen, muss los, kann nie lang bleiben. Das besingt er stets aufs Neue, und das hat mich seit jeher stark berührt und angeleitet. Es ist das "On the road"-Ur-Motiv der Beat-Literatur, das Udo ins Deutsche übersetzt hat. Wohin, ist nachrangig. Hauptsache: los und weg. Idealtypischer Song hierzu, einer seiner allerersten deutschen Texte: "Daumen im Wind". Das ist die Ursetzung dieses Grundmotivs in seinem Werk.

Was kann man in Sachen Drogen noch von Udo Lindenberg lernen?

Sein Klassikersatz dazu lautet: "Besser nicht nach der Mengenlehre Gifte schlucken, mehr ist mehr – stattdessen gezielte Wirkstoffeinnahme, immer wieder neu angreifen, neue Dinger ausprobieren." Und natürlich: "dicht gedichtet – aber nüchtern gegengelesen". Und man kann von ihm lernen, dass man alles ausprobieren darf, allerdings darauf achten muss, dass man es auch überlebt. Denn sonst kann man diese Grenzerfahrungen ja gar nicht mehr ausnutzen fürs Werk, und das wäre doch schade drum. Der heutige Udo sagt, er sei einfach ein zu extremistischer Freiheitsfanatiker, als dass er es sich erlauben könne, Festangestellter einer Sucht zu sein. Da bin ich dabei.

Sie trinken jetzt seit zehn Jahren keinen Alkohol mehr. Wie schwer fällt Ihnen das – nüchtern zu sein?

Gar nichts zu trinken ist für mich sehr viel leichter, als ein bisschen was zu trinken. Kann man sich viel besser merken: nix ist nix, kein Verhandlungsspielraum. Den Alkohol wegzulassen, ist bei mir eine reine Vorsichtsmaßnahme, Alkohol war nie mein Hauptproblem. Aber indem ich auch ihn komplett weglasse, verhindere ich, dass ich in diese Stimmung komme: Ach, jetzt ist es auch schon egal. Wenn man einmal die Grenze überschritten hat von der Gewohnheit zur Sucht, ist es kaum möglich, zurückzukehren zu maßvollem Rauschmittelgebrauch, und den habe ich sowieso immer abgelehnt: sich maßvoll betrinken – das ist doch vollkommen sinnlos. Wenn schon, denn schon. Und weil ich das so sehe, lasse ich es eben lieber komplett bleiben, das bekommt meiner Biografie irgendwie besser.

Ist die Welt, nüchtern betrachtet, nicht auch irgendwie traurig?

Doch, natürlich. Aber glauben Sie mir, wenn man süchtig ist und niemals nüchtern, ist das auch keine fröhliche Sache. Der Rausch bietet die Möglichkeit der Realitätsflucht, ist Eskapismus. Eine gute Einrichtung. Doch wenn man das nicht verträgt, weil man konditioniert ist auf ganz oder gar nicht, und die Avenue des Rausches immer komplett runterlatschen muss bis zur Entzugsklinik, dann muss man sich andere Strategien suchen, um klarzukommen mit Weltkaputtheit und Traurigkeit.

Sie trinken angeblich nur mehr Wasser. Was gönnen Sie sich, wenn es einmal etwas zum Feiern gibt?

Wasser mit Kohlensäure.

Zur Person

Benjamin von Stuckrad-Barre: Um die Jahrtausendwende wurde er Bestseller- und Kultautor: Mit seinem Debüt „Soloalbum“ gab Benjamin von Stuckrad-Barre einer Zeit die Stimme. Später hatte er eine eigene Sendung bei MTV.

"Panikherz": Der neue Roman ist ein schonungsloser Blick zurück – auf die Drogensucht, seinen Absturz und die Wiederauferstehung.

Soloalbum vor dem AbsturzBenjamin von Stuckrad-BarreUm die Jahrtausendwende wurde er Bestseller- und Kultautor: Mit seinem Debüt „Soloalbum“ gab Benjamin von Stuckrad-Barre einer Zeit die Stimme. Später hatte er eine eigene Sendung bei MTV. PanikherzDer neue Roman ist ein schonungsloser Blick zurück – auf die Drogensucht, seinen Absturz und die Wiederauferstehung

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