Retrospektive Hans Haacke: Der nüchterne Blick auf Systeme und Fakten

2006 gab es in Berlin eine Retrospektive: Hans Haacke vor den Plakaten zu „Und Ihr habt doch gesiegt" aus 1988 für den „steirischen herbst“.
Nach der Wahl von Kurt Waldheim, der seine NS-Zeit unter den Teppich gekehrt hatte, zum Bundespräsidenten führte kein Weg mehr daran vorbei: Österreich musste sich dem bis dahin tradierten Opfer-Mythos und der NS-Vergangenheit stellen. Der „steirische herbst“, damals tatsächlich ein Avantgardefestival, nahm eine Vorreiterrolle ein: 1988, ein halbes Jahrhundert nach dem „Anschluss“ ans Deutsche Reich, thematisierte er breit „Schuld und Unschuld der Kunst“.
Zur Eröffnung dirigierte der Komponist Herbert Zipper, nach einer Odyssee in Kalifornien heimisch geworden, in Graz jenes Lied, das er mit Jura Soyfer im September 1938 im KZ geschrieben hatte: „Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt / Und wir wurden stahlhart dabei ...“ Im Zentrum des Festivals stand die von Werner Fenz kuratierte Schau „Bezugspunkte 38/88“ im öffentlichen Raum: An 14 Orten, die seit der NS-Zeit belastet (und zum Teil in Vergessenheit geraten) waren, legten Künstler mit durchaus aufsehenerregenden Interventionen den Finger in die Wunde.
Für Aufregung sorgte bereits zu Beginn der US-Amerikaner Bill Fontana mit seiner Soundinstallation „Sonic Projections“: Er beschallte vom Schlossberg aus acht Orte in der Stadt, die im Dritten Reich eine wichtige Rolle gespielt hatten, mit Klängen aus der ganzen Welt und ergänzte sie mit Geräuschen aus Graz. Fontana hatte für seine „Klangskulptur“ wunderschöne Aufnahmen gewählt, z. B. von einem Nebelhorn aus der San Francisco Bay, von Glocken eines buddhistischen Tempels und vom Liebeswerben der Affen im Urwald. Aber die Proteste über den „Affenlärm“ hagelten in einer derartigen Intensität, dass die Politiker der ÖVP in die Knie gingen – und Zensur übten.
Die Besiegten der NS-Zeit
Die stärksten Reaktionen löste jedoch der Beitrag von Hans Haacke aus. Am Eisernen Tor, einem Platz am Rand der Altstadt, stellte er die Situation von 1938 nach: Er stülpte über die dortige Marienstatue einen in der Wirkung erschreckenden Obelisken mit stilisierten Hakenkreuzen, den die Nationalsozialisten „Siegessäule“ genannt hatten. Unter dem Titel „Und Ihr habt doch gesiegt“ listete er „die Besiegten in der Steiermark“ auf: 300 getötete „Zigeuner“, 2.500 getötete Juden, 8.000 getötete oder in der Haft verstorbene politische Gefangene, 9.000 im Krieg getötete Zivilisten ...

„Und Ihr habt doch gesiegt" 1988 für den „steirischen herbst“: Der Obelisk listete die Besiegten des NS-Regimes auf.
Fünf Tage vor Ende des Festivals wurde die mächtige Skulptur von einem Neonazi in Brand gesteckt. Und weil sie, errichtet aus Holz und Stoff, wie ein Kamin fungierte, schmolz die vergoldete Marienstatue. Die verkohlten Überreste hatten etwas unheimlich Beklemmendes.
Enorme Spannbreite
Einen Rückblick auf die damaligen Ereignisse bietet die herausragende Retrospektive „Hans Haacke“, die noch bis 9. Juni im ehemaligen 20er-Haus, nun Belvedere 21 genannt, zu sehen ist.
Die dem Künstler entsprechend distanziert-nüchtern gehaltene, von Luisa Ziaja mit viel Feingefühl und mit Bedacht auf Sichtachsen kuratierte Schau bietet tatsächlich die enorme Spannbreite von Haackes konzeptuellen Arbeiten ab – und beginnt, mehr oder weniger gegen den Uhrzeigersinn der Chronologie folgend, mit der ersten und, wie sich herausstellen sollte, wegweisenden Arbeit.
Der Kölner, geboren am 12. August 1936, arbeitete 1959 als Student der Werkakademie in Kassel an der dortigen „documenta“ mit. Nebenbei fotografierte er den Zusammenprall zwischen der modernen Kunst und dem Publikum – ohne Intention, da er damals Bilder malte.

Kassel 1959: Burschenschaftler kehren Kandinsky den Rücken.
Erst zwei Jahrzehnte später wurden die SW-Fotos veröffentlicht: Sie dokumentieren das scharfe Auge von Haacke, der hinter die Kulissen schaut, Daten sammelt und analysiert. Der junge Künstler wandte sich alsbald von der Malerei ab und ging 1965 nach New York. Dort lehrte er 35 Jahre lang an der Cooper Union for the Advancement of Science and Art: Er wollte nicht in die Abhängigkeiten des Kunstbetriebs geraten, von außen wie ein Forscher auf (geschlossene) Systeme schauen.

Land Art 1970 in Spanien: „Denkmal der Strandverschmutzung“.
Schon früh, in den 70er-Jahren, interessierte er sich neben biologischen und physikalischen Systemen auch für ökologische – und die Umweltverschmutzung: Er ließ zum Beispiel 1971 das Wasser des Rheins untersuchen, um sachlich alle Fakten und Verursacher aufzulisten. Den Schluss, wiewohl nahegelegt, durfte der Betrachter ziehen.
Das Sammeln von Daten und die Recherche wurden immer wichtiger: etwa über Immobilienbesitz in Manhattan, Waffenproduktion oder die Geschäftspraktiken des Schokoladenherstellers Peter Ludwig, der als Kunstmäzen („Sammlung Ludwig“) auch im mumok verehrt wird. Eine derart große Retrospektive über Hans Haacke – bekannt u. a. für seine Installation im Innenhof des Berliner Reichstagsgebäudes (2000) – sieht man daher in der österreichischen Galerie Belvedere. Und nicht im Museum moderner Kunst, wo sie eigentlich thematisch hinpassen würde.
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