Beirut und El Alberto: Leben zwischen Aufbruch und Verlust

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Im Rahmen von „New Voices“ im Stadtkino Wien zeigen junge Regisseure Geschichten aus Libanon und Mexiko. Im Interview mit dem KURIER sprechen sie über Schönheit, Trauma und die Grenzen des Bleibens.

Von Georg Krierer 

Gehen oder bleiben? Eine Frage, die Menschen seit jeher beschäftigt. Manchmal ist sie ein Ausdruck von Sehnsucht, manchmal eine pure Notwendigkeit. Doch ist es wirklich immer eine freie Entscheidung? Genau darum kreisen die beiden Dokumentarfilme, „To Close Your Eyes and See Fire“ von Nicola von Leffern und Jakob Sauer sowie „Night of the Coyotes“ von Clara Trischler, im weiteren Sinne. Mit diesen Dokumentarfilmen startet im Stadtkino Wien am 5. September die zweite Ausgabe der Reihe „New Voices“.

Beirut

Als im August 2020 eine gewaltige Explosion den Hafen von Beirut erschütterte, sah die Welt für einen Moment hin. Doch schon bald verschwanden die Bilder von Schutt und Asche aus den Medien. Neun Monate verbrachten von Leffern und Sauer über drei Jahre hinweg in der Stadt, um zu dokumentieren, was nach der Katastrophe geschehen ist: Wie lebt man weiter, wenn die Welt in Trümmern liegt? „To Close Your Eyes and See Fire“ begleitet vier Menschen durch ihren Alltag. Die Künstler Selim und Andrea, die trotz allem bleiben, weil sie glauben mit ihrer Arbeit etwas bewegen zu können und Aya sowie Jamal mit seiner Familie, die schlicht keine Möglichkeit haben, zu gehen – gefangen in den Folgen der Katastrophe.

Zwischendurch: Yasmin, die am Telefon einer Seelensorge den Kummer anderer auffängt und selbst unter der Last zerbricht. „Der Film ist über die Gebliebenen“, sagt Regisseurin von Leffern, die selbst im Libanon lebte.

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Jakob Sauer und Nicola von Leffern besuchten Beirut.

Verzerrte Sicht

Die persönliche Verbindung zu dem Land reicht bei von Leffern weit zurück. Schon 2011 arbeitete sie dort für eine NGO. „Ich habe nach und nach verstanden, dass wir durch unsere Medien eine sehr verzerrte Sicht auf dieses Land haben.“ Diese Nähe sei Motivation und Verantwortung zugleich gewesen. Doch Nähe hat ihren Preis. „Es wäre eigentlich gut gewesen, wenn wir für uns noch eine therapeutische Unterstützung mit ins Budget kalkuliert hätten“, blickt Sauer auf die Dreharbeiten zurück. „Wir haben uns jahrelang mit Trauma beschäftigt“, ergänzt von Leffern. Die ständige Entscheidung, wann man die Kamera weglegt und jemanden tröstet und wann man dokumentiert, sei eine schwierige gewesen.

Doch ihre Botschaft ist klar: Die Dokumentation will berühren und Empathie wecken, nicht ein einzelnes Ereignis nacherzählen. „Die Leute stumpfen ab, fangen an wegzuschauen. Es wäre schön, wenn es dem Film gelingt, wieder eine Brücke hin zur Menschlichkeit zu schlagen, die universell gültig ist“, betont von Leffern. Regie-Kollege Sauer sagt: „Es ging uns viel darum, Bilder zu finden, die spürbar sind.“ Denn trotz der Schwere des Themas ist der 98-minütige Film von poetischen, ruhigen Bildern geprägt. Momente, die Schönheit bewahren, selbst dort, wo das Leben zerbricht.

El Alberto

Auf der anderen Seite der Welt, im mexikanischen Hochland, steht Felicitas in einer riesigen Küche. Allein. Ihr Mann, ihre Kinder sind längst in den USA. Das Dorf um sie herum ist halb verlassen, von Migration ausgehöhlt. In „Night of the Coyotes“ fängt Clara Trischler die beklemmende Realität der Stadt El Alberto ein, welche zur Geisterstadt wurde. Und die surreale Praxis seiner Bewohner, die die gefährlichen Grenzübergänge simulieren, die viele von ihnen schon hinter sich haben. 2017 war sie zum ersten Mal dort. Über die Jahre kam sie rund acht Monate in die Gemeinde. „Ich hatte kein großes Team dabei, sondern bin meistens alleine mit der Kamera herumspaziert, habe einfach mit allen geredet. Dadurch ist Vertrauen entstanden.“

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Clara Trischler widmete sich der Geisterstadt El Alberto.

Schmerzhaftes Thema

Besonders bewegt hat sie die Geschichte der zwölfjährigen Rebeca, deren Mutter kurz vor dem Dreh den Schritt über die Grenze wagte – ein Tabuthema innerhalb der Familie und gleichzeitig der Kern der Erfahrung. „Wir durften drehen und es gab eine starke Verbindung zur Familie, aber wir konnten das wichtige, schmerzhafte Thema im Raum gar nicht ansprechen.“

Skurril wirkt die Praxis des Dorfes, Grenzübertritte nachzustellen – eine Touristenattraktion. „Caminata nactura“ nennen sie die Wanderung, doch: „Es gibt viele Dinge, die man nicht nachvollziehbar machen kann, wie die Todesangst“, sagt Trischler.

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„Night of the Coyotes“: Rebecas Mutter ging nach Amerika.

Auch in „Night of the Coyotes“ geht es weniger um jene, die gehen, sondern um jene, die bleiben. Zurückgelassen in einer Landschaft zwischen Sehnsucht und Verlust.

So unterschiedlich die beiden Filme über den Libanon und Mexiko auch sind, beide zeigen Menschen im Dazwischen. Menschen, die bleiben (müssen) oder gehen (müssen). Und beide Dokus stellen die gleiche Frage: Ist es eine Wahl oder ein Luxus, den nur wenige haben? Im Stadtkino Wien gibt es Vorführungen am 5., 6., 7. und 13. September. Infos: www.stadtwienkino.at

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