Bayreuther Chaos, Berliner Coup

Ein Mann deutet mit dem Finger auf seine Schläfe.
Was sich hinter den Kulissen bei den legendären Kulturinstitutionen wirklich abspielt.

Nun wurde also bekannt, dass Christian Thielemann fürderhin den Titel "Musikdirektor der Bayreuther Festspiele" trägt. Ist das für Insider überraschend? Definitiv nicht.

Seit geraumer Zeit kursiert im Netz ein Foto von einem Parkplatz auf dem Grünen Hügel neben dem Festspielhaus, der dem "Musikdirektor Thielemann" vorbehalten ist – kleine, aber offenbar wichtige Machtinsignien. Und die alljährliche Rede zur Begrüßung des Orchesters zum Probenauftakt wurde heuer nicht von Festspielchefin Katharina Wagner gehalten, sondern bereits von Thielemann.

Eva Wagner-Pasquier, Katharinas Halbschwester, war da längst aus dem engsten Machtzirkel gedrängt. Ein kolportiertes Betretungsverbot, das in Bayreuth über sie verhängt worden sein soll, wurde zwar nie wirksam. Ihre in Aussicht gestellte Vertragsverlängerung als Ko-Chefin der Festspiele bis 2020 wurde aber verhindert. Dem Vernehmen nach waren höchste Regierungskreise bis hin zu Kanzlerin Angela Merkel, die Bayreuth regelmäßig besucht, mit dem Fall befasst. Wichtige Mitarbeiter von Katharinas Vater Wolfgang, die die neue Festspielchefin schon als Kind gekannt hatten, mussten bereits unmittelbar nach dessen Tod gehen.

Auch was die Sänger betrifft, kam es zu zahlreichen Änderungen. Martin Winkler, der 2013 im ersten "Ring"-Jahr unter Dirigent Kirill Petrenko und Regisseur Frank Castorf so grandios den Alberich gesungen hatte, war bereits im zweiten Jahr abgesetzt worden. Heuer bekam "Siegfried" Lance Ryan keinen neuen Vertrag – an seiner Stelle wurde der kaum bekannte Stefan Vinke geholt. Diese Umbesetzungen erfolgten unter Protest des Leitungsteams Petrenko/Castorf.

Die dritte Isolde

Für die von Thielemann dirigierte "Tristan"-Premiere wiederum war zunächst Eva-Maria Westbroek als Isolde vorgesehen. Sie wurde schon im Vorfeld gegen Anja Kampe ausgetauscht. Nun wird Evelyn Herlitzius die Partie singen – und Kampe (wie bei der Premiere) nur noch die Sieglinde in der "Walküre". Wer die Branche kennt, kann davon ausgehen, dass alle abgesetzten Sänger Bayreuth nicht ohne Geld verlassen haben.

Jedenfalls gibt es heuer für manches sogar kurzfristig Karten, was Bayreuth-Kritiker als Beweis für das herrschende Chaos anführen.

Während Thielemann "Tristan" probt, bereitet Kirill Petrenko zum letzten Mal den "Ring" vor. Die beiden dürften einander im Moment aus dem Weg gehen. Thielemann wurde ein Interesse an der Leitung der Berliner Philharmoniker nachgesagt – bis Petrenko am 22. Juni zum Nachfolger von Simon Rattle bestellt wurde. Wie sich mehr und mehr herausstellt, war Thielemann nie wirklich im Rennen. Zu groß war die Fraktion jener, die ihn als Chef ablehnten – als Dirigent ist er unumstritten.

Die erste Wahl

Schon beim ersten Wahlversuch am 11. Mai gab es eine klare Mehrheit für Kirill Petrenko – bereits nach zwei Stunden hatten sich die 124 stimmberechtigten Mitglieder auf ihn geeinigt. Als er daraufhin aus der Sitzung angerufen wurde, lehnte Petrenko zunächst rundweg ab – wohl aus Loyalität gegenüber der Bayrischen Staatsoper München, wo er Generalmusikdirektor ist (der KURIER berichtete). Daraufhin herrschte im Berliner Orchester Ratlosigkeit, und es gab keine Einigung innerhalb der noch acht Stunden andauernden Debatten.

Viele Musiker hätten sich Mariss Jansons in einer Übergangszeit als Chef vorstellen können – dieser verlängerte jedoch seinen Vertrag beim Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks. Bei Andris Nelsons war wohl klar, dass er in Boston bleibt. Gustavo Dudamel wiederum stand nie zur Diskussion.

Im Orchester gab es jedoch, wie schon seit Langem, auch eine Fraktion für Daniel Barenboim – er hätte ursprünglich statt Simon Rattle Chef werden sollen, bekundete diesmal aber, nicht zur Verfügung zu stehen.

Da sich so gut wie alle wichtigen Solisten weiterhin für Petrenko stark machten, wurde daraufhin innerhalb der folgenden sechs Wochen eine Lösung hinter den Kulissen gebastelt. Die nun so aussehen dürfte, dass Petrenko seinen bis 2018 laufenden Vertrag als Musikdirektor in München zwar vermutlich verlängern, seine Dirigate dort aber von Jahr zu Jahr etwas reduzieren wird, um in Berlin immer stärker einzusteigen. Der Amtsantritt bei den Philharmonikern könnte jedenfalls früher als gedacht erfolgen.

Hätte es übrigens am 22. Juni mit Petrenko nicht geklappt, wäre dieses Mal Barenboim die Alternative gewesen. So ist Petrenko der einzige, der von den Berlinern gleich zweifach gewählt wurde. Und der erste, bei dem die Entscheidung ohne politische Zurufe oder Einflussnahme von außen erfolgte. Ein Votum ausschließlich für die Qualität, das zumindest beim zweiten Wahlgang sehr gut vorbereitet war.

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