Letzter Auftritt
Niedecken ist ein Fan von Dylan, seit er als Schüler dessen Klassiker „Like A Rolling Stone“ gehört hatte. Immer wieder setzte er sich seither mit Dylans Werk auseinander, übersetzte dessen Songs in den Kölner Dialekt und drehte 2017 für ARTE eine Doku, in der er mit Weggefährten, Fotografen und Musikern über Dylans Leben sprach.
In der Corona-Zeit schrieb Niedecken ein Buch über diese Reise. Parallel dazu hat er die Show „Dylanreise“ entwickelt, in der er – begleitet von Pianist Mike Herting – Passagen aus dem Buch liest und die passenden Lieder dazu spielt, seien es eigene oder die von Dylan. Am 23. Februar tritt der 73-Jährige damit im Wiener Konzerthaus auf.
„Nach über 100 ist das der letzte Auftritt mit dem ,Dylanreise‘-Programm“, erklärt er. „Wir wollten den unbedingt in Wien spielen, weil viele BAP-Fans enttäuscht sind, dass wir so lange nicht mehr in Österreich waren. Und zur ARTE-Doku hat mich außerdem euer Film-Regisseur Hannes Rossacher eingeladen, mit dem wir 1984 für ,Alexandra‘ in Wien in der Getreidebörse unser allererstes Musikvideo gedreht haben.“
So viel, sagt Niedecken, habe er von Dylan gelernt – für das Songschreiben wie für das Leben: „Es war die Haltung, die hinter ,Like A Rolling Stone‘ steckt, die mich so fasziniert hat. Diese Frage: ,Wie fühlt sich das an, alleine zu sein?‘“ Er war 14, spielte in einer Beatband und wusste schon damals: So wie Dylan will auch ich Songs schreiben.
Es dauerte aber, bis er dahin kam. Er schob fünf Jahre Kunststudium zwischen die Schule und die BAP-Karriere – und ist fest überzeugt, dass er sich ohne Dylan nie getraut hätte, deutsche Texte zu schreiben. „Ich habe von ihm gelernt, dass man keine Klischees benutzen soll und immer mit offenen Augen durch die Gegend rennen muss. Durch die Dylan-Songs habe ich mich für Literatur und Filme interessiert, was vorher nicht der Fall war. Da war ich ein normaler Schüler, der gerne Fußball gespielt hat.“
Ein wacher Humanist
Vor allem aber hat Niedecken, ein wacher Humanist, der vor politischen Statements nicht zurückschreckt, von Dylan gelernt, wie man solche Themen effektiv in Songs verpackt: „Es ist ganz schlimm, so an die Sache ranzugehen, dass man sagt, wenn ich dieses und dieses Lied gespielt habe, musst du die und die Partei wählen. Damit bevormundet man seine Hörer. Stattdessen singe ich wie Dylan über Einzelschicksale. So kann man sich – wenn man will – näher mit dem Thema befassen und seine eigenen Schlüsse ziehen. So zu texten, ist für mich eine Frage des Respekts vor dem Publikum.“
Empathie bewahren
Auf der jüngsten BAP-Tournee „Zeitreise“ musste sich Niedecken allerdings zurückhalten, keine politischen Kommentare abzugeben. Speziell, als am fünften Tag der Tour die Wahl in den USA „dermaßen schief“ ging: „Es war schon hart, dazu nichts zu sagen. Ich habe in den Anmoderationen auf der Bühne immer wieder das eine oder andere zu politischen Situationen und Ereignissen gesagt. Aber in der ,Zeitreise‘-Show spielen wir unsere Durchbruchsalben von 1981 und 1982, und in so eine Zeitreise hätte das nicht reingepasst. Das Einzige, was ich zum Schluss gesagt habe, war: ,Bewahrt euch bitte eure Empathie‘! Und das sagt ohnehin alles.“
Obwohl er die BAP-Fans für durchwegs sehr empathisch hält, denkt Niedecken in diesem Zusammenhang gerne an die 60er zurück, in denen er seine Jugend verbracht hat. „Da hat man aufeinander geachtet, sich auch international dafür starkgemacht, dass diese Scheiß-Kriege aufhören – mit allem, was die Amerikaner Furchtbares in Vietnam veranstaltet haben. Ich weiß nicht, ob wir das heute noch einmal so hinkriegen. Heute herrscht die Ego-Gesellschaft, wo nur gilt: ,Ich zuerst!‘ Der Rechtsruck ist überall zu spüren. Und das macht mir schon Angst.“
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