Die Kunst spricht durch die Blume: Warum Ausstellungen zur Botanik florieren

46-215624486
Im Kunstbetrieb herrscht aktuell Gartensaison. Hinter der Hinwendung zur Botanik steckt auch eine veränderte Geisteshaltung.

Gleich vorweg: Der Titel „Flower Power“, mit dem die Landesgalerie Niederösterreich in Krems seit kurzem Publikum in ihren großen Schausaal lockt, ist irreführend.

Denn in der umfassenden Schau geht es nur teilweise um Blumen: Zehn Kulturpflanzen stehen stattdessen im Zentrum einzelner Raumabteile, darunter Kartoffel, Kaffee und Tabak, eine Sektion befasst sich gar mit Algen. Neben Fotos und Gemälden sind wissenschaftliche Präparate und – im Kapitel zum Apfelbaum – ein Apple-Computer zu sehen. Ein Biologe fungierte als Co-Kurator.

Die Kremser Schau ist ein bunter Streifzug und definitiv keine reine Kunstausstellung. Sie ist aber auch ein Indiz eines breiteren Umschwungs in der Museumswelt, der sich aktuell an vielen Orten (siehe Überblick unten) manifestiert: In der Beziehung von zeitgenössischer Kunst, Kulturgeschichte und Naturwissenschaft hat sich etwas verschoben.

46-215581974

Museum und Glashaus

In mancher Hinsicht erscheint das Zusammenrücken von kunst- und naturhistorischen Exponaten wie eine Rückkehr zu den Wunderkammern der Renaissance: In diesen Sammlungsräumen, von denen jene auf Schloss Ambras in Innsbruck als Musterbeispiel gilt, standen Naturalien und künstlerische Erfindungen auf einer Stufe.

Dass die Entwicklung der modernen Kunstmuseen danach weitgehend parallel zur Ausbildung exotischer Gewächshäuser verlief, ist ebenso kein Geheimnis. Zur höfischen Kultur des Barock gehörten eben nicht nur die immer weiter ausdifferenzierten Kunstsammlungen, die der sächsische Kurfürst August III. in Dresden als einer der ersten auch öffentlich zugänglich machte: Gewächshäuser für exotische Pflanzen waren ebenso Teil davon. Im 19. Jahrhundert wurden die Glashäuser analog zu den großen Kunstsalons auch Schauräume und Treffpunkte. Heute beherbergt die „Orangerie“ in Paris die großen Seerosenbilder von Claude Monet, jene im Wiener Belvedere ist Ort musealer Kunstausstellungen.

46-215581024

Der Blick auf Pflanzen wie auf Kunst war also immer geprägt von der Suche nach Erkenntnis – aber auch vom Wunsch nach Beherrschung: Man holte sich Proben aus fernen Kolonien, stellte sie aus, konservierte sie in gepresster Form oder in Alkohol, aber auch in Gemälden und Zeichnungen. Dass damit auch einige der populärsten Zimmer- und Gartenpflanzen in unseren Kulturkreis importiert wurden, ist aktuell Gegenstand der Präsentation „Kolonialismus am Fensterbrett“ im Weltmuseum Wien.

Die angestaubte, zugleich ansprechende Ästhetik der Naturkunde diente Konzeptkünstlern später als Werkzeug, um die Konventionen des Kunstbetriebs als solche zu durchleuchten und zu entstauben: Der Belgier Marcel Broodthaers tat dies schon in den 1970er-Jahren, der US-Amerikaner Mark Dion arbeitet sich seit den 1990ern an den Ordnungssystemen der historischen Museen ab.

Im Unterschied dazu scheint die gegenwärtige Welle naturhistorisch inspirierter Kunst weniger mit der Kritik an Wissens- und Präsentationsformen befasst: Naturmotive stehen heute in den verschiedenen Stadien ihrer Konservierung oder Umformung als Vokabular zur Verfügung, um verschiedene Aussagen zu tätigen – häufig, aber nicht nur, im Sinne des Klimaaktivismus.

Wittgensteins Grashalme

Am nähesten an der erkenntnistheoretischen Wurzel steht noch der Niederländer Herman de Vries, dem bis 10. 8. eine sehenswerte Schau im MuseumsQuartier gewidmet ist. Einst selbst Biologe, begann de Vries ab den 1960ern, Objekte aus der Natur zu sammeln und diese – mit Rückgriffen auf die Philosophie Ludwig Wittgensteins – auf ihr Verhältnis zur Sprache abzuklopfen. Ein schlichter gepresster Grashalm trägt in der Schau etwa den Titel „Ein Gedicht.“

46-214897814

Die Schweizer Künstlerin Regula Dettwiler nutzte wiederum gepresste Blätter, um ein „Herbarium der Gefühle“ zu erstellen: Im Vorfeld ihrer Schau in der Kremser Landesgalerie hielt sie Workshops ab, bei denen Teilnehmende gesammelte Pflanzen nicht wissenschaftlich, sondern mit eigenen Assoziationen zu annotieren hatten. So wird eine Trockenblume zum Zeichen für Dankbarkeit („Immer wieder blüht die Freundschaft“) oder zum Ausdruck der Überraschung („Ich habe vergessen, dass ich Blumen in die Schule mitbringen soll“).

46-215581976

In einer weiteren Arbeit arrangierte Dettwiler 15.000 Plastikblumen, die sie auf Friedhofsmüllhalden sammelte: Blumen als Sinnbilder von Vergänglichkeit kollidieren hier mit der hartnäckigen Beständigkeit des Materials.

Künstlich, künstlerisch

Was also ist natürlich, was künstlich, was künstlerisch? Die Wiener Künstlerin Angela Andorrer agiert in dieser Zwischenwelt mit Blättern, die sie bemalt, verziert und vernäht. Um die Pflanzenteile beständig zu machen, ist wiederum das Know-how von Konservatoren nötig. Am Ende stehen bildnerische Zwischenwesen. Andorrer selbst sieht eine Verbindung zu Reliquienschreinen – ein weiteres Medium, das sich dem Erhalt des Verfallenden verschrieben hat und sich in einer Parallelsphäre der Kunst, im religiösen Kult, entwickelte.

46-215654068

Um auf die fragile Natur zu reagieren, tut sich in somit ein breites Spektrum auf. Das stellt wiederum den Ausstellungsbetrieb auf die Probe: Im Weltmuseum konnte man etwa aus konservatorischen Gründen neben echten Zimmerpflanzen keine lichtempfindlichen Originale zeigen – und behalf sich mit Kopien. Was wieder die Frage aufwirft, wofür ein Museum da ist: Für Relikte, für Dokumente – oder doch für Blumen?

Kommentare